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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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NPD-Funktionäre zu unerwünschten Gästen. Mag sein, dass nicht nur Haltung und aufrechte Gesinnung die Hoteliers und Gastwirte aktiv werden ließen, sondern die Einsicht, dass Fremdenverkehr und Fremdenfeindlichkeit schlechterdings nicht miteinander vereinbar sind und in Gegenden, in denen die Rechten ihre Parolen verbreiten, die Fremden wegbleiben und damit auch ihr Umsatz wegbricht.
    Den mutigen Anfang für die Aktion »Kein Bett für Nazis« machte Johannes Lohmeyer. Der Geschäftsführer des Hotels Holiday Inn in Dresden teilte dem Chef der sächsischen NPD-Fraktion, dem aus dem Westen stammenden Holger Apfel, in einem Brief mit, dass er seinen Namen auf der Reservierungsliste entdeckt habe und hiermit die Reservierung der NPD storniere: »Sollte dies aus vertraglichen Gründen nicht möglich sein, darf ich Sie darauf hinweisen, dass ich sämtliche in unserem Hause durch Sie getätigten Umsätze unmittelbar als Spende an die Dresdner Synagoge weiterleiten werde. Betrachten Sie dies als kleinen Beitrag für die Schäden, die Ihre damaligen Gesinnungsgenossen der Synagoge und vor allem ihren früheren Besuchern zugefügt haben.« Der Mann wurde zu Recht gefeiert, er erhielt begeisterte E-Mails aus der ganzen Welt.
    Markus Ulbig, der Bürgermeister von Pirna, gelegen in der Sächsischen Schweiz, die bekannt ist für militantes Jungvolk in friedlicher Landschaft, getragen von zweistelliger NPD-Zustimmung bei Wahlen, hat nicht versucht, das rechte Problem seiner
Stadt zu verharmlosen. Der CDU-Mann stellte einen Koordinator gegen Extremismus ein, der genügend Mittel bekam, um sein Amt auszufüllen, unterstützte die »Aktion Zivilcourage« und setzt insgesamt auf Bildung des Volkes als Mittel gegen die Volksverdummer. Das scheint zu wirken. Seit Jahren sind Gewalttaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund rückläufig. Ulbig duckte sich nicht weg, sondern stellte sich den Feinden der Demokratie. Mal mit der Härte des Gesetzes, mal mit der Kraft der Argumente. Oft genügten ihm schlichte Zahlen. 38 755 Deutsche leben in Pirna und 602 Ausländer. Wenn die Nationaldemokraten von Überfremdung schwafeln, müsse es ziemlich finster aussehen in ihren Köpfen. Zwar nickten seine Mitbürger, aber die Einsicht hielt nicht lange vor. Bei den Wahlen für den Landkreis Pirna im Juni 2008 holte der NPD-Kandidat in Ulbigs Stadt 7,7 Prozent der Stimmen – und das, obwohl er aus dem hier besonders fernen Westen stammt und ihn vor Ort kaum ein Schwein kannte.
    Pirna hat zumindest gegen die Schandtaten der Ahnen sichtbare Zeichen gesetzt. Zur Schlossanlage Sonnenstein, wo einst im Dritten Reich unwertes Leben vernichtet wurde, führen diese Zeichen vom Elbufer unten bis hinauf auf den Berg. 14 751 kleine Kreuze. Sie erinnern an 14 751 Menschen, die im Rahmen der Euthanasie da oben ermordet wurden. In Leipzig gibt es ein gleichfalls, aber mit dem von Pirna nicht vergleichbares schreckliches Zeichen einer Diktatur, der zweiten. Da, in der Arndtstraße 48, beginnt meine Suche nach den Spuren der anderen Ewiggestrigen.
    Den noch sichtbaren der Kommunisten.

Kapitel 7
    Ausstieg links: Im Land der alten Männer
    Ist nicht besonders auffällig, scheint ganz normales Deutschland zu sein: die Stadt, die Straße, das Café, der Kinderspielplatz, das Haus, das Tor. Davor wachsen unterernährte Grasbüschel zwischen Pflastersteinen. Ein Indiz dafür, und an diesem Ort und in diesem Zusammenhang passt das Wort »Indiz«, dass dieser Eingang nur selten noch benutzt wird. Andernfalls wären die dürren Halme übergangen und geknickt worden. Eine dicke Spinne hat die Gitterstäbe über der dunklen Flügeltür mit feinen Fäden vernetzt und lauert regungslos auf anfliegende Beute. Mein plötzlicher Gedanke, dass, wer durch dieses Tor schreite, alle Hoffnungen fahren lassen müsse, liegt zu nah, und deshalb verjage ich ihn.
    Tatsächlich hatten viele bereits keine Hoffung mehr, wenn sie zu diesem quadersteinigen Gebäude gefahren wurden.Tatsächlich wussten sie, dass es innerhalb der nächsten acht bis zehn Stunden jenseits dieses Tores mit ihrem Leben vorbeisein würde. Hausnummer 48 in der Arndtstraße war ihre letzte Adresse, ihre Endstation. Genau da, in der Leipziger Südvorstadt, befand sich die zentrale Hinrichtungsstätte der DDR.
    Die zum Tode Verurteilten, mit Handschellen gefesselt, wurden am Hintereingang der Haftanstalt abgeliefert. Ihre Ankunft lief stets nach dem gleichen Muster ab. Zunächst hielt ein weißer Kleinbus vom Typ Barkas

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