Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
Höpcke, ein »Nutznießer und Genießer unserer gegen ihn erstrittenen Freiheit«. Fritz Rudolf Fries, den »ich für meinen Freund hielt und der mich an die Stasi verriet«.
Er weiß, dass es die Hoch-Zeit der Stasi war, wenn in Leipzig zur Messe gelesen wurde, dass die meisten DDR-Schriftsteller linientreu in der SED verankert und an Privilegien gewöhnt waren und dass »wir nichts wüssten über Fries und Kant, Anderson und das ganze Gelichter, wäre es Politikern gelungen, die Stasi-Akten zu vernichten. Auch Thierse, der in seiner Nische brav durch die DDR kam, sollte sich in der Aktenfrage zurückhalten.«
Sascha Anderson alias IM »Fritz Müller« alias IMB (offizielle MfS-Abkürzung für einen Inoffiziellen Mitarbeiter der Abwehr zur »Bearbeitung im Verdacht der Feindtätigkeit stehender Personen«), den Wolf Biermann in seiner Dankesrede für den Georg-Büchner-Preis 1991 Sascha Arschloch nannte, lebt heute in Frankfurt, dem westdeutschen am Main. Er organisiert auf Honorarbasis für eine Bank Ausstellungen, entwirft unter Pseudonym Buchumschläge für Verlage und hat nach einer Therapie wieder begonnen zu schreiben. Dass er sich ohne Wenn und Aber zu seiner Schuld bekennt, Kollegen verraten zu haben an das Ministerium für Staatssicherheit, macht ihn bei den Verratenen nicht wieder satisfaktionsfähig. Die ostdeutsche Malerin Cornelia Schleime, die 1984 das Grauland DDR verlassen durfte und dann in Westberlin lebte, deren bester Freund Anderson mal war,
lässt in ihrem 2008 erschienenen Roman »Weit fort« einen Mann auftreten, der nicht von ungefähr Anderson’sche Züge trägt. Ihre weibliche Hauptfigur Clara erfährt, wie sie auch, erst nach dem Umbruch aus den Akten, wer es war, der sie einst verraten hat, und darüber bricht auch sie fast zusammen.
Andere Stasi-Flüsterer wie der Historiker Karlheinz Schädlich, der unter anderen über Günter Grass und auch über seinen Bruder Hans Joachim Schädlich (»Tallhover«) Berichte anfertigte, entschuldigten sich nach der Enthüllung ihres Doppellebens bei ihren Opfern persönlich. Für manche war es zu spät. Einer hatte sogar vor lauter Angst den Verstand verloren: Der Lyriker ließ sich alle Zähne ziehen, weil er zutiefst davon überzeugt war, dass ihm ein Zahnarzt im Auftrag des MfS ein Mikrofon in eine seiner Plomben installiert hatte.
Karlheinz Schädlich erschoss sich im Dezember 2007.
Der unbeugsame Störenfried Loest, der mit seinem Roman »Nikolaikirche« der Heldenstadt Leipzig und ihren Herbst-’89-Bürgern und dem aufrechten Pfarrer Christian Führer, Initiator der Friedensgebete und seit 1. April 2008 im Unruhestand, ein Denkmal setzte, hat den Spitzeln die jahrzehntelange »Zersetzung der Seelen« – so der Schriftsteller Jürgen Fuchs -, statt der früher bei ihren Vorgesetzten beliebten Methode »Hau drauf, Kopf ab«, nicht verziehen. Er weiß, dass Mielkes mobile Einsatzkommandos den Wortmächtigen nie trauten, selbst denen nicht, die brav als linientreue Sänger im SED-Chor auftraten, dass deshalb bis zum Ende der DDR 1500 IMs das weite Feld Kultur beackerten. Das ging so weit, dass die Arbeiten von Fotografen darauf überprüft wurden, ob sie etwa »unsere Menschen« in unerwünschten Situationen zeigten. Unerwünscht waren beispielsweise Bilder des Fotografen Harald Hauswald, der von der Stasi unter dem Decknamen »Radfahrer« observiert wurde. DDR-Bürger wurden von Hauswald vor den üblichen verfallenen Häusern fotografiert. Das galt dann als Verunglimpfung des »sozialistischen Wohnungsbauprogramms«. Die Schnüffler wussten wohl, was sie taten, und sie wussten auch, warum die Wortschöpfer – weniger die Maler, weniger
die Musiker – ihre besondere Aufmerksamkeit verdienten. Literatur und Theater waren die letzten Nischen der Widerspenstigen, weil es sonst kaum andere Möglichkeiten gab, sich öffentlich zu äußern.
So erzählte Thomas Langhoff, zwischen 1991 und 2001 Intendant des Deutschen Theaters in Berlin, von den langen Nächten, in denen er in seinem Büro saß und Akten studierte, um die IMs innerhalb seines Ensembles kennenzulernen. Das empfand er als die Pflicht eines anständigen Menschen gegenüber den Ausgespähten Mit jedem aufgedeckten Stasi-Maulwurf sprach er persönlich. Erst dann traf er, welche auch immer es waren, die nötigen Entscheidungen.
Günter Kunert, 1976 ausgeschlossen aus der Partei, weil er gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns protestiert hatte, ausgereist in den Westen 1979, hat
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