... Wie Gespenster in der Nacht
ihrer Rechten, mit Rücksicht auf Poppy, der dann seinen Platz nicht aufgeben musste. „Manche Männer reisen um die Welt, um neue Eindrücke zu sammeln. Ich finde sie hier.“
„Reist du nicht gern?“
„Ich habe den Globus in allen vier Windrichtungen umkreist, aber ich habe kein Eckchen gefunden, das mir besser gefällt. Vermutlich macht mich das zu einem langweiligen und einfallslosen Mann.“
„Wenn du eine Liste aufstellen müsstest, um dich zu beschreiben, würdest du dann diese Adjektive hinzufügen?“
„Ein langweiliger, einfallsloser Mann, der nie daran denken würde, eine Liste aufzustellen.“
„Wer steuert eigentlich das Boot, Andrew?“
Er lehnte sich zurück. „Sie kennt den Weg auch allein.“
Fiona wusste, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte. Andrew kannte den See wie seine Westentasche, sie war völlig in Sicherheit. Der See war Andrews Zuhause. Also lehnte auch sie sich entspannt zurück und drehte den Kopf gerade so weit, dass sie sein Profil bewundern konnte. „Erinnerst du dich noch an dein erstes Mal auf dem See?“
„Da war ich noch ein Baby. Mein Vater ist nie einer regelmäßigen Arbeit nachgegangen. Er machte Bootsführungen für Touristen, und er fischte und verkaufte, was immer er aus dem See herausziehen konnte – solange die Behörden nichts davon mitbekamen. Er hat mich oft mitgenommen. Iain und Duncan haben ihre erste Fahrt über den See in diesem Boot gemacht.“
„Das müssen wunderbare Erinnerungen sein.“
Seine Stimme wurde tiefer, so als hätte ihre Bemerkung die Unterhaltung auf eine andere Ebene geführt. „Manche, sicher. Mein Dad war ein unvergleichlicher Geschichtenerzähler. Und er hatte eine Stimme wie ein Engel. Wir Schotten sind bestimmt kein weinerliches Volk, aber wenn mein Dad spät abends im Pub die alten Volkslieder anstimmte, dann gab es keinen, der sich nicht heimlich eine Träne aus den Augenwinkeln wischte. Er sang, und sie gaben ihm einen Drink nach dem anderen aus, damit er weitersang …“
Sie hatte das Gefühl, dass da noch mehr war, aber sie fragte nicht nach. „Liebt deine Mutter den See auch so sehr?“
„Sie hasst ihn, immer noch. Sie behauptet, der Loch Ceo hat ihr ihren Mann geraubt.“
Fiona setzte sich vor. „Ist dein Vater etwa ertrunken? Ist es das, was sie damit meint?“
„Mein Vater starb im Krankenhaus. An zu vielen Träumen und zu viel Schnaps.“
Sie wusste nicht, was sie Tröstendes hätte sagen können.
„Er war ein Mann, der nicht zum Ehemann und Vater geschaffen war. Dennoch war er ein guter Mann.“ Andrew stand auf und ging zum Ruder zurück. Vermutlich, um sowohl die Richtung, die das Gespräch genommen hatte, wie auch die des Bootes zu ändern. Poppy hob den Kopf und sah Andrew nach, aber er blieb neben Fiona sitzen.
Das Boot nahm eine Weile Geschwindigkeit auf, um dann wieder zu verlangsamen. Über das Wasser hinweg sah Fiona die Lichter des gegenüberliegenden Seeufers näher kommen. Andrew setzte sich wieder neben sie und zeigte zum Bug. „Wir steuern auf eine kleine Bucht zu, wo mein Darling im letzten Jahrhundert zweimal gesichtet worden ist: Zuerst von einem Arzt, der in Druidheachd Urlaub gemacht hat, und zwölf Jahre später von einem Geschwisterpärchen. Die beiden hielten bis ins hohe Alter an ihrer Geschichte fest.“
„Wie oft hat man dein Darling insgesamt gesehen?“
„Dreimal in diesem Jahrhundert, soweit ich weiß. Es ist aber auch gut möglich, dass man sie öfter gesehen hat – nur ist ja nicht jeder bereit, das zuzugeben. Mein Vater war einer von denen, die darüber gesprochen haben. Er hat sie wenige Stunden nach meiner Geburt gesehen.“
„Waren die Umstände um deine Geburt nicht auch so schon außergewöhnlich genug?“
„Die Dorfbewohner sind auf jeden Fall davon überzeugt. Sie glauben noch immer, dass Duncan, Iain und ich, wenn wir zusammen sind, gewisse Kräfte haben …“
Jäh fiel Fiona ein, dass Billie etwas in dieser Richtung erwähnt hatte, aber sie hatte nicht wirklich verstanden, was Bille damit gemeint hatte. „Was denn für Kräfte?“
„Man hat nie den Versuch gemacht, es zu definieren. Iain hält es für Aberglauben und nimmt es hin, während Duncan im Stillen immer vor Wut kocht.“
„Und du?“
„Ich glaube, es ist etwas dran.“
„Wirklich? Und was?“
„Ich glaube daran, dass drei Männer, die ein gemeinsames Ziel vor Augen haben, über mehr Macht verfügen als dreihundert, die alle unterschiedliche Absichten
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