... Wie Gespenster in der Nacht
schließlich, „meiner Ansicht nach hast du zwei Möglichkeiten. Du kannst in dein Herz schauen und dich daran erinnern, wer Duncan, Iain und ich wirklich sind. Du kennst uns seit der Nacht, in der wir geboren wurden. Als Babys hast du uns auf den Knien geschaukelt, und als Jungs hast du uns den Hosenboden versohlt, wenn es nötig war. Oder du kannst das alles auch vergessen und lieber zwei fremden Männern Glauben schenken, die nur verlieren können, wenn sie die Wahrheit sagen.“
Er konnte nicht auf ihre Erwiderung warten. Ohne noch ein weiteres Wort schob er sich an ihr vorbei und verließ das Cottage. Als er hereingekommen war, hatte die Frühlingssonne noch strahlend am Himmel gestanden. Jetzt, als er wieder draußen vor dem Haus stand, bauschten sich dort oben dunkle Wolken zusammen.
Als Andrew als junger Mann seinen ersten Drink angeboten bekam, hatte er zur allgemeinen Belustigung dankend abgelehnt und sich somit zum Gespött der gleichaltrigen Freunde gemacht. Er war bereits Mitte zwanzig gewesen, bevor er sich an Bier versuchte, und noch älter, bevor er sich dem Whisky zuwandte. Und selbst heute noch kontrollierte er die eigene Reaktion auf Alkohol so genau wie ein Diabetiker seinen Insulinspiegel. Er wusste, wie viel er trinken konnte, um noch einen klaren Kopf zu behalten. Er achtete darauf, in regelmäßigen Abständen für eine Zeitlang überhaupt keinen Alkohol zu konsumieren, nur um sicher zu sein, dass er es konnte. Und tagtäglich ermahnte er sich, dass er, sollte je der Moment nahen, in dem er das Gefühl hatte, ohne Drink nicht auszukommen, nie wieder ein Glas anfassen würde.
Heute, nach der Konfrontation mit Kaye Gerston, bestellte er zu seinem Abendessen im Pub einen Whisky. Er genoss die brennende Spur, die der Alkohol durch seine Kehle hinunter bis in seinen Magen zog und ein Echo in seinem ganzen Körper auslöste. Er hätte gern noch einen Drink bestellt, stattdessen nahm er sein Dinner – Lamm mit Colcannon, dem traditionellen Eintopf aus Rüben, Kartoffeln und Grünkohl – mit zu dem Tisch in der Ecke. Frances Gunn, die Köchin des Hotels, bereitete den besten Colcannon in den ganzen Highlands zu, doch heute Abend aß Andrew, ohne auch nur das Geringste zu schmecken.
Tage waren vergangen, ohne dass er Fiona gesehen hatte. Er hatte es für klüger gehalten, ihnen beiden Zeit zu lassen, um Abstand zu den Ereignissen an jenem Abend auf seinem Boot zu bekommen. Doch stattdessen konnte er an nichts anderes denken als daran, wie es sich anfühlte, sie in seinen Armen zu halten.
Er wollte sie sehen, heute Abend noch, doch deshalb war er nicht ins Hotel gekommen. Er wusste ja, dass sie gar nicht da war. Heute Morgen war sie zusammen mit Duncan nach Glasgow gefahren. Schon seit Wochen fuhr sie zusammen mit Duncan in die Stadt, wenn er zu seinen Meetings musste. Solange er arbeitete, besuchte sie Sara im Krankenhaus. Das war sicher nicht leicht für sie. Andrew vermutete, dass jedes Mal, wenn sie die Brandopferstation betrat, Erinnerungen auf sie einstürmten. Dennoch ging sie hin. Sie wusste, wie gut es Sara und auch Pamela tat, sie dort zu sehen.
„Die Wand anstarren kann man auch zu zweit.“ Iain stellte einen Teller mit dem gleichen Gericht auf den Tisch und ließ sich neben Andrew nieder.
Andrew hatte Iain nicht kommen gehört. Er rutschte ein Stückchen mit dem Stuhl zur Seite, sodass er den Freund ansehen konnte. Die Ehe bekam Iain. Wie eine Wildkatze, die ans Haus gewöhnt und gezähmt worden war, hatte er sich dennoch die hellwache Aufmerksamkeit und seine schnellen Reflexe bewahrt. Aber Iain war zufriedener, als Andrew sich je hätte träumen lassen. Er war die optimistische Ausgabe des Mannes, der er einst gewesen war.
„Danke fürs Kommen!“, sagte Andrew jetzt. „Ich hätte nicht gedacht, dass du es schaffst.“
„Billie ist zusammen mit Mara irgendwo auf dem Land unterwegs. Es kommt dieser Tage nicht oft vor, dass ich Frances Gunns Küche genießen kann.“
„Billie ist mindestens eine ebenso gute Köchin.“
„Stimmt. Aber das hier kocht sie nie.“ Iain deutete mit der Gabel auf seinen Teller. „Ebenso wenig wie Kedgeree oder gedünstetes Rindfleisch mit Hodgils.“
„Meine Mum hat jedes Mal Kedgeree gemacht, wenn du bei uns warst, weil du es so gern gegessen hast. Und dann hat sie immer behauptet, dass es nur an ihrem Kedgeree liegen würde, wenn du eines Tages groß und stark wirst.“
Iain lächelte. „Wie geht es ihr überhaupt? Ich habe nicht mehr
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