Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)
bekam eine fette Abreibung. Denn rausschneiden ging nicht. Das hätte große Aufregung gegeben, weil viele Journalisten nur darauf warteten, dass da etwas gekürzt würde und wir uns das eventuell gefallen lassen würden. Das Programm lief also ungeschnitten über den Sender. Kurz darauf allerdings wurden die »Notizen aus der Provinz« einfach abgesetzt. Bei der Abschiedsfeier saßen wir noch mal zusammen, und da trat dieser Redakteur zu mir an den Tisch, hatte Tränen in den Augen und begann ganz feierlich: »Herr Hildebrandt, ich möchte …« Ich unterbrach ihn und sagte nur: »Bitte jetzt nicht.« Schließlich war er ja sechsJahre lang der größte Feind dieser Sendung gewesen. Und jetzt kam er an und weinte mir was vor! Aber dann sagte er: »Ich bin ja so dankbar, dass es jetzt vorbei ist.«
E NSIKAT: Ehrlich war er.
H ILDEBRANDT: Ja, ehrlich. Das hat mir wieder gut gefallen.
WAS IST EIN PUBLIKUM?
E NSIKAT: Ein Kabarettpublikum braucht einen möglichst engen Raum. Keller und Dachböden sind ideale Kabarettorte.
H ILDEBRANDT: Alte Türme sind noch idealer. Ganz oben, wo nur sechzig Leute reinpassen, aber fünfundsechzig drin sind.
E NSIKAT: Ich finde fünfundsechzig zu wenig. Ein Publikum beginnt erst mit 100 Leuten eines zu sein. Vorher fühlen sich die Zuschauer nicht anonym genug.
H ILDEBRANDT: Nein, mit hundert ist es schon sinnlos.
E NSIKAT: Wieso denn? Wenn du unter den hundert einen hast, der dich nicht missversteht, ist doch alles in Ordnung. Auf jeden Fall gilt: Lieber ein Saal voller Missverständnisse als ein leerer Saal.
H ILDEBRANDT: Oder ein Saal voller Lehrer. Das kann noch schlimmer sein. Nein, es ist mir im Grunde egal. Seit ich nicht mehr Fernsehen mache, ziehe ich mit Freuden von Ort zu Ort. Mal sind da dreihundert, mal vierhundert Plätze. Das Vergnügen, zu sehen, wie sich die Gesichter vor einem verändern … Und die Frage: Krieg ich sie heute? Ich krieg sie ziemlich oft, unddarauf bin ich dann stolz. Ich kann manche Leute aus ihrer Lethargie reißen. Für eine halbe Stunde jedenfalls.
E NSIKAT: Ich war ja als Darsteller nur in zwei »Distel«-Programmen auf der Bühne, damals, Anfang der siebziger Jahre. Da habe ich mir jeden Abend das unfreundlichste, das grimmigste Gesicht im Publikum rausgesucht und mir vorgenommen, den musst du heute zum Lachen bringen. Es war eine Katastrophe, wenn mir das nicht gelang.
H ILDEBRANDT: Motto: Dir reiß ich die Maske vom Gesicht!
E NSIKAT: Einmal saß ein besonders grimmiger Mann in der dritten Reihe, der auch bis zur letzten Minute grimmig blieb. Und ausgerechnet der kommt nach der Vorstellung hinter die Bühne. Ich erkannte ihn erst jetzt, es war ein namhafter Kinderchorleiter aus Leipzig, für den ich mal ein paar Liedtexte geschrieben hatte. Und der sagt strahlend: »Es war großartig!« Ich frag ihn: »Warum haben Sie denn nicht einmal gelacht?« Er: »Ich hatte Angst, mir würde etwas entgehen.«
H ILDEBRANDT: Ich hab was Ähnliches in Rostock erlebt. Da sagte einer nach der Vorstellung ganz glücklich zu mir: »Es war hinreißend. Ich konnte mir das Lachen kaum verkneifen.«
E NSIKAT: Als wir beide zusammen in Bonn aufgetreten sind, im Juni 1989, hatten wir doch, wenn die andernbeiden dran waren, immer mal Zeit, uns zu verständigen. Wir wollten das dümmste oder am meisten gelangweilte Gesicht da vor uns ausmachen. Du hattest ja schon vor Beginn gesagt: »Das sind lauter Politiker und Journalisten. Die lachen sowieso nicht.« Haben sie dann aber hier und da trotzdem. Auf einen aber, der besonders nicht lachte und der das am ausdrücklichsten zeigte, hatten wir uns sehr schnell geeinigt. Nach der Veranstaltung, als wir da oben Blümchen und Glückwünsche entgegennahmen, kam ausgerechnet der, den wir uns ausgeguckt hatten, zu uns und stellte sich vor. Es war der Kulturattaché der DDR-Botschaft in Bonn. Dein hämisches Lachen ist mir unvergesslich, diese hämische Überheblichkeit. Der Mann konnte doch nichts dafür, dass er so aussah, wie er aussah.
H ILDEBRANDT: Natürlich nicht. Aber es war so ein glückliches Zusammentreffen.
E NSIKAT: Ich habe das Gefühl, wir Ossis sind für euch prädestiniert für dumme Gesichter.
H ILDEBRANDT: Hat nichts mit euch zu tun. Gibt’s auch, wenn wir uns gegenseitig betrachten. Wir sind mal in Düsseldorf aufgetreten, vor einem reinen Männerpublikum, alle in dunklen Anzügen. Da kam nichts, auch kein Schmunzeln. Da habe ich schließlich gefragt: »Darf ich Sie mal antippen? Ich hab nämlich
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