Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)
du.
H ILDEBRANDT: Das ist ein intellektuelles Missverständnis. Und zwar ein tiefliegendes. Ich will niemanden verletzen bei der CSU … doch, das will ich eigentlich schon. Also, sagen wir es so: Sie sind einfach nicht in der Lage zu begreifen, dass das die subtilste Form des politischen Kabaretts ist, die der Polt macht. Er schildert die Menschen, die CSU wählen. Und das auch noch mithilfe der Folklore. Das nenne ich die gemeinste Form des Widerstandes.
E NSIKAT: Denn die von der CSU verstehen die Folklore als netten Inhalt.
H ILDEBRANDT: Und beim Gerhard Polt muss man auch sagen, dass er außer einem gemeinen Folkloristen auch Philosoph ist. Daher kann man ihn kaum als Kabarettisten betrachten, sondern eher als – Phänomen.
E NSIKAT: Ein Gesamtkunstwerk. Ich erinnere mich noch, wie ich ihn zum ersten Mal im »Scheibenwischer« sah, diesen Bayern, der so komisch guckt …
H ILDEBRANDT: Der Gerhard kommt auf die Bühne und guckt nur. In der Zeit hätte unsereins schon eine Seite Text runter. Und dann sagt er: »Jo.« Und es kommt der erste Lacher. Kein Mensch weiß, warum. Das liegt an der sogenannten »Vis comica«.
E NSIKAT: Da kann man nur neidvoll erblassen. Das ist ein bisschen wie der Unterschied zwischen Kurt Tucholsky und Alfred Polgar. Der Tucholsky hat von Polgar gesagt: »Bei dem sieht man die Nähte nicht.« Und da hat er recht. Beim Tucholsky sehe ich, wie er’s gemacht hat. Ich erkenne es. Aber bei Polgar, da sehe ich die Sätze und frage mich trotzdem: Wie hat er das nur gemacht?
H ILDEBRANDT: Und dann gibt’s die, bei denen du nichts als Nähte siehst. Einige dieser Comedians etwa.
E NSIKAT: Comedy – das ist einfach ein anderer Beruf. Aber ich finde, es gibt ausgezeichnete Comedy. Zum Beispiel Loriot. Das würde ich Comedy nennen, was der gemacht hat.
H ILDEBRANDT: Hmmm. Ich sehe das eher in der Nähe vom Gerhard Polt. Das würde ich »Comédie humaine« nennen, die menschliche Komödie. Das ist keine Klamotte. Das ist psychologisches Theater. Dagegen sind die Comedians nichts anderes als Witzeerzähler. Die hat’s immer schon gegeben.
E NSIKAT: Das waren früher die Conférenciers.
H ILDEBRANDT: Wovon es wunderbare gab. Der grandioseste von allen war Peter Frankenfeld. Bei dem lag ich am Boden. Ich bin ja ein unglaublicher Lacher. Ich neige zum vielen, vielen Lachen. Ich schäme mich auch nicht, über Kollegen zu lachen.
E NSIKAT: Wie geht es dir denn mit dem Fremdschämen? Das passiert mir sehr oft.
H ILDEBRANDT: Ach, dieses Wort. Kannst du mir das mal richtig erklären? Schäm ich mich für Fremde? Oder bin ich fremd?
E NSIKAT: Ich bin fremd. Oder: befremdet. Immer wenn ich ganz schlechtes Kabarett sehe, dann schäme ich mich einmal für den, der’s macht, und dann noch mal für mich, weil ich doch im selben Genre arbeite. Ich frage mich dann immer, ob ich nicht vielleicht auch so einen Mist mache und es gar nicht merke?
H ILDEBRANDT: Das ist doch nur peinlich für den Mann, der da auftritt. Um den hab ich Angst.
E NSIKAT: Ich hab immer gleich Angst ums ganze Genre. Ich denke: Wenn das als Kabarett empfunden wird, dann kann uns doch keiner mehr ernst nehmen.
H ILDEBRANDT: So schnell geht das doch aber nicht.
E NSIKAT: Dieter, ich komme aus der DDR. Ich bin daran gewöhnt, mich für vieles zu schämen, wofür ich gar nichts kann.
H ILDEBRANDT: Das nennt man Komplexe.
E NSIKAT: Richtig. Die sind im Osten verbreiteter. Wirhaben schließlich schon mal erlebt, wie alles in Frage gestellt werden kann, woran man geglaubt hat. Erinnerst du dich an unser Gespräch über Karl-Eduard von Schnitzler und Richard Löwenthal?
H ILDEBRANDT: Die beiden Fernseh-Oberpropagandisten, Ost und West.
E NSIKAT: Du wünschtest dem Löwenthal damals ein langes Leben, damit du ihn noch lange parodieren kannst. Für mich war der ganze Schnitzler eine einzige Schande.
H ILDEBRANDT: Den habe ich nie ernst genommen, und ich dachte, den nimmt bei euch auch keiner ernst.
E NSIKAT: Viel schlimmer: Der wurde gehasst. Für die Partei dagegen war er ein wichtiger Propagandist.
H ILDEBRANDT: Ach du Schande.
E NSIKAT: Ich habe ihn nicht gehasst. Ich hab mich für ihn geschämt. Wie gesagt, mein Schamgefühl ist leicht erregbar. Vermutlich habe ich mich auf diese DDR und was damit zusammenhing, doch viel mehr eingelassen, als mir heute lieb ist. Ich hätte dieses Ländchen gern als meines betrachtet wie du die Bundesrepublik. Aber das ging halt nicht. Dieser Zwiespalt war und ist nicht leicht zu
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