Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)
verkraften. Für die Bundesrepublik schäme ich mich nicht, obwohl es da ja auch Grund genug gäbe. Aber irgendwie geht sie mich nicht so viel an. Da bin ich reingeraten, ohne die Wohnung zu wechseln. Keiner hat mich gefragt, ob ich da reinwill.
H ILDEBRANDT: DDR -Bürger bist du ja auch nicht freiwillig geworden.
E NSIKAT: Stimmt. Aber wenn etwas vierzig Jahre dauert, gewöhnst du dich dran, ohne es wirklich zu merken.
H ILDEBRANDT: Ich sehe die Sache mit Leuten wie Schnitzler oder Löwenthal, mit diesen Propagandisten und Ideologen, eher sportlich. Vor denen habe ich so eine Art von Respekt. Wie hoch so einer springen muss, damit er nicht in seine eigene Scheiße fällt. Als ich als Soldat in Görlitz war, der Krieg war fast schon vorbei und wir bauten Gräben, da hab ich diese Goebbels-Rede gehört: »Wir werden in großen Offensiven …!« Die Russen standen schon überall, da hat der noch den Endsieg propagiert! Die Rede habe ich neulich noch mal gehört und habe gedacht: Donnerwetter.
E NSIKAT: Aber dieser Vergleich … Gegen Goebbels war Schnitzler dann doch ein harmloses Würstchen.
H ILDEBRANDT: Ja eben, das meinte ich.
E NSIKAT: Und wir sind vom Polt auf Schnitzler und Goebbels gekommen …
H ILDEBRANDT: Richard Löwenthal, dem West-Schnitzler, habe ich einen schönen Erfolg zu verdanken. Es war in den siebziger Jahren, und ich habe noch die »Notizen aus der Provinz« gemacht. Wir erfuhren, dass Rechtsradikale sich auf einer Burg treffen, und zwar richtige Neonazis wie Manfred Roeder. Wir riefen dort an und fragten, ob wir das Treffen mit der Kamera begleiten könnten. Wir sagten nur: »Wir sindein ZDF-Magazin«, weshalb sie uns mit dem Löwenthal verwechselten und sagten: »Bitte schön.« So durften wir ihre Veranstaltungen mitschneiden, wo sie tatsächlich Sachen sagten wie: »Die Verbrecher dieser Regierung müssten umgebracht werden.« Daraufhin hat sich der Staatsanwalt eingeschaltet, und Roeder kam ins Gefängnis. Woran du siehst, dass bei uns hin und wieder auch Wirkung erzielt wird.
E NSIKAT: Mit Kabarett Wirkung zu erzielen, darauf kann man stolz sein. Die Wirkung, die wir in der DDR erzielten, schlug ja in aller Regel auf uns selbst zurück.
H ILDEBRANDT: Das ist ein großer Unterschied. Uns im Westen ist natürlich nichts passiert.
E NSIKAT: Dafür hattet ihr, gemessen an den Zuschauern, den größeren Erfolg. Ihr kamt ja über alle Sender. Wogegen wir, die wir quasi »geheime Verschlusssache« waren, vielleicht eine längere Wirkung hatten. Über manche Kabarettprogramme wurde noch jahrelang geredet. Ich behaupte auch, dass wir damals wesentlich systemkritischer waren, als heute irgendeiner ist.
H ILDEBRANDT: Glaubst du das?
E NSIKAT: Aber ja. Wir durften ja keine Namen nennen. Bei uns kam kein »Honecker« oder »Mielke« vor. Dadurch waren wir gezwungen, zum Wesen der Sache zu kommen. Wir sprachen, wie schon gesagt, nicht über die , sondern über uns . Das DDR-Kabarett war im Kern ernster. Viele Westler konnten darüber gar nicht lachen.
H ILDEBRANDT: Da muss ich sehr albern gewesen sein, denn ich hab die ganze Zeit gelacht.
E NSIKAT: Gut, es gab Ausnahmen. Der eine oder andere mag uns vielleicht verstanden haben.
H ILDEBRANDT: Ich erinnere mich an eine Nummer in der »Distel«, die wohl dem, was du meinst, ganz gut entsprach. Eine Frau war im Urlaub, in Ungarn, dort, wo sie eben hindurfte. Dort hat sie sich verliebt. Im nächsten Jahr wollte sie wieder nach Ungarn, durfte aber nur nach Bulgarien. Da hat sie sich in einen Bulgaren verliebt und so weiter. Zum Schluss sagt sie: »Liebes Politbüro, ich bin eine loyale Bürgerin der Deutschen Demokratischen Republik. Ich stehe dazu. Ich steh zu dem, ich steh zu dem und zu dem. Aber ich bitte um eines: Wann endlich gibt es Pässe für Liebespaare?« Ein grandioser Text und genau das, was du meinst. Hintenherum, aber genau an der Sache dran. Sie redet über die Liebe, und es ging um die Freiheit.
E NSIKAT: Das Wort »Reisefreiheit« hätte man natürlich nicht gebrauchen können.
H ILDEBRANDT: Euer Thema war die Unfreiheit, unseres eher die Freiheit. Was macht man mit ihr? Der beste Titel dazu war von Richard Rogler: »Freiheit aushalten«. Was sagt man, wenn man alles sagen darf? Da kann es passieren, dass man sich ein bisschen Druck wünscht.
E NSIKAT: Inzwischen ist das unser gemeinsames Problem. Wenn man alles sagen kann, wird nichts mehr ernst genommen.
H ILDEBRANDT: Da ist der Zwang ein anderer. Da muss man witzig
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