Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)
sein.
E NSIKAT: Unterhaltung ist gefragt. Das, was sich Kurt Hager von uns wünschte: Seid unterhaltsam.
H ILDEBRANDT: Witz und Unterhaltung sind ja nicht per se verkehrt. Im Gegenteil. Der gezielte Witz, der etwas trifft, kann ungeheuer stark sein. Was Georg Schramm zum Beispiel macht, ist ungeheuer witzig, allerdings auf höchstem Niveau. Oder Frank Barwasser. Ich habe gerade sein Soloprogramm gesehen. Das ist einfach glänzend. Wenn mich jemand fragt, wie macht man heute Kabarett, dann sage ich: So!
E NSIKAT: Das Komische ist ja, dass, seit es das Kabarett gibt, gesagt wird, es sei tot.
H ILDEBRANDT: Ach ja. Seit 2000 Jahren ist es tot. Aristophanes war schon tot.
E NSIKAT: Mausetot, von Anfang an. Aristophanes übrigens war ja das Beispiel für DDR-Kabarettisten. Der hat die Polis kritisiert, um sie zu erhalten.
H ILDEBRANDT: Er war systemerhaltend.
E NSIKAT: So wie wir.
H ILDEBRANDT: Die Achtundsechziger haben uns genau das vorgeworfen.
E NSIKAT: Ihr habt die Leute zum Lachen gebracht, statt sie auf die Barrikaden zu scheuchen. Und ihr hattet Anzüge an und Schlipse!
H ILDEBRANDT: Ja, wie richtige Menschen standen wir da auf der Bühne und erhielten das System.
WIR KALTEN KRIEGER
H ILDEBRANDT: Da erinnere ich mich an die Geschichte mit den Bussen aus West-Berlin. Erzähl die Geschichte!
E NSIKAT: Ja, die ist schön. An der Probenbühne des Deutschen Theaters fuhren immer diese Sightseeing-Busse aus dem Westen vorbei. Und wenn die Kollegen Pause hatten und draußen standen und so ein Bus kam vorbei, dann liefen sie hinterher und riefen: »Hunger! Hunger! Hunger!« Sie wollten einfach dem Bild, das der Westdeutsche vom DDR-Bürger hatte, entsprechen.
H ILDEBRANDT: Dabei hätte man sagen können, ihr wart zu satt. Euer Speiseplan war nur ein bisschen anders. Aber er sättigte wahnsinnig, deswegen hieß es ja auch »Sättigungsbeilage«.
E NSIKAT: Es entsprach dem Bild, das viele im Westen vom Ost-Bürger hatten: Er darf nichts sagen, er ist ein verkümmertes Wesen. Nicht mal eine richtige Berufsausbildung gibt’s da. Solche Töne gibt es ja bis heute noch.
H ILDEBRANDT: Wir Kabarettisten haben’s uns ja auch immer gegenseitig vorgeworfen: Ihr habt die billigen Anti-Ost-Nummern! Ihr habt die billigen Anti-WestNummern! Auf beiden Seiten haben wir über Dinge geredet, von denen wir keine Ahnung hatten.
E NSIKAT: Aber es gibt doch einen Unterschied: Wir mussten die West-Nummern machen, um überhaupt Kabarett machen zu dürfen. Bei jeder Abnahme wurde gefragt: »Und wo ist die Auseinandersetzung mit dem Klassenfeind?« Ihr habt das freiwillig gemacht. Der andere Unterschied war: Eure Ost-Nummern kamen beim Publikum glänzend an. Unsere West-Nummern so gut wie nie. Nur wenn das Licht ausging, klatschten die Leute aus Freude darüber, dass die Nummer zu Ende war.
H ILDEBRANDT: Was den Westen anbelangt, muss man aber doch ein bisschen differenzieren. Es gab natürlich diese ignoranten Nummern, in denen ein Bild vom DDR-Bürger gezeichnet wurde, das eigentlich nur lächerlich war. Bei den »Stachelschweinen« in West-Berlin gab es die in der Zeit des Kalten Krieges. Aber was uns in München betraf, muss ich das einschränken. Wir haben das bayerische Publikum beschimpft für seine ignorante Haltung dem Osten gegenüber. Wir haben den Bayern eher vorgeworfen, dass sie zuerst nicht zur Kenntnis genommen haben, dass Deutschland geteilt war, und als dann die Wiedervereinigung kam, haben sie sich das abends im Fernsehen angeguckt und morgens schon wieder vergessen. Im Osten stand für sie immer noch der Russe. Also, unsere Kritik betraf eher den Westen, dessenlächerlich vulgären Antikommunismus, der übernommen war aus den Zeiten des Dritten Reiches und noch früher. Das setzte sich ja seit Bismarcks Zeiten fort und hat sich kaum verändert. Die katholische Kirche hatte daran immer ihren Anteil. Unser Thema war also nicht zuvörderst Kritik am Osten, sondern Kritik an der Wahrnehmung des Ostens durch den Westen.
E NSIKAT: Deshalb wart ihr ja auch so beliebt bei uns. Die »Lach- und Schießgesellschaft« und auch das Düsseldorfer »Kom(m)ödchen« waren ja in der DDR bekannter als jedes Ost-Kabarett. Weil man euch im Fernsehen sah, im West-Fernsehen. DDR-Kabarett gab’s nicht einmal im DDR-Fernsehen.
H ILDEBRANDT: Bei uns kam ein richtiger Zorn auf, wenn wir diese Ignoranz gegenüber dem Osten sahen. Wenn da ein Kanzler Kohl über »diese armen Menschen in der DDR« sprach, über »die armen Brüder und
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