Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)
Schwestern«, die vierzig Jahre nicht gelebt hätten, dann trieb uns das den Zorn ins Gesicht. Wie können siebzehn Millionen Menschen nicht gelebt haben? Die haben in diesen vierzig Jahren der Trennung gelebt wie wir, waren verliebt, waren wütend, hatten Freunde, sind Ski gelaufen, haben ferngesehen, haben gearbeitet und gefeiert. Wie kann man von denen behaupten, sie hätten nicht gelebt?
E NSIKAT: Pass jetzt bloß auf, dass du nicht ostalgisch wirst. Das ist gefährlich!
H ILDEBRANDT: Wieso denn?
E NSIKAT: Wer sagt, dass wir gelebt hätten, der wird auch noch behaupten, dass es ein normales Leben in der DDR gegeben habe. Du als Westdeutscher darfst das vielleicht, ganz vielleicht sagen. Sobald ich das sage, will ich meine DDR wiederhaben.
H ILDEBRANDT: Das geht natürlich nicht.
E NSIKAT: Weißt du, wir hätten ja so gern über unsere DDR so gesprochen wie ihr über eure Bundesrepublik. Nämlich gnadenlos kritisch. Um sie zu erhalten selbstverständlich. Und die DDR hatte Angst, dass wir sie abschaffen wollen, und hat sich dann gleich selbst abgeschafft.
H ILDEBRANDT: Wollen doch mal sehen, was unsere Demokratie mit sich anstellt. Sie ist ja nun schon dreiundsechzig Jahre alt und bei bester Gesundheit. Eigentlich. Nur, sie hat halt wahnsinnige Macken. Sie hinkt, sie stinkt bisweilen, man kann ihr alles Mögliche nachsagen.
E NSIKAT: Das Tragische ist, dass, seit der Osten dazugekommen ist, leider nichts besser wurde.
H ILDEBRANDT: Logisch, die Macken haben sich verdoppelt.
E NSIKAT: Da gibt es diesen klugen Satz von Heiner Müller: »Natürlich sind zehn Deutsche dümmer als fünf.«
H ILDEBRANDT: Aber was macht man dann, wenn man sich partout wiedervereinigen will?
E NSIKAT: Stimmt. Man kann ja keinen ausschließen …
H ILDEBRANDT: Das geht dann nur noch durch Beförderung: Wie wird man einen los? – Indem man ihn befördert!
E NSIKAT: Aber so viele Plätze sind da oben gar nicht.
H ILDEBRANDT: In eurem Zentralkomitee und im Politbüro gab es schon ganz schön viele.
E NSIKAT: Das Zentralkomitee war groß, das Politbüro nicht. Da ging man dann zum Sterben hin.
H ILDEBRANDT: Es funktioniert nach »Peter and Hull«, die gesagt haben, wenn einer immer wieder befördert wird, kann es viermal richtig sein. Beim fünften Mal überschreitet er seine Kompetenzschwelle. Da muss man davon ausgehen, dass es Staaten gibt, in denen nur solche Leute oben sitzen, die die Kompetenzschwelle überschritten haben.
E NSIKAT: Man sprach bei uns ja immer von der kollektiven Führung der Partei. Ich vermute, dass Honecker und seine Mannen ihre Kompetenzschwelle im Kollektiv überschritten haben.
H ILDEBRANDT: Nach allem, was über sie bekannt wurde, dürfte das zutreffen.
E NSIKAT: Und wieweit trifft das auf die Bundesregierung zu?
H ILDEBRANDT: Nicht ganz so geschlossen. Bei unserer Regierung handelt es sich schließlich nicht um ein Kollektiv. Das sind mehr Einzelkämpfer.
E NSIKAT: Aber neunzig Prozent von ihnen dürften, wenn auch einzeln, ihre Kompetenzschwelle längst hinter sich gelassen haben.
H ILDEBRANDT: Wollen wir handeln?
E NSIKAT: Gut, fünfundachtzig Prozent.
H ILDEBRANDT: Siebzig.
E NSIKAT: So positiv siehst du das?
H ILDEBRANDT: Na gut, zweiundsiebzig. Allerdings ist mir im Moment gar nicht klar, wer uns regiert. Ich hab die alle vergessen.
E NSIKAT: Das ist ja das Schöne heute. Diese Bundesregierung kannst du vergessen.
H ILDEBRANDT: Was daran liegt, dass die, die wir loswerden wollten, längst in Brüssel sitzen, also noch weiter oben. Sie sagen, wie lang eine Banane sein darf und wie lang ein Gedanke sein darf, was wir singen müssen: die Nationalhymne. Deswegen haben wir im Fußball verloren, weil wir die Nationalhymne nicht auswendig können. Die Italiener konnten das. Das Nationalgefühl wird vorgeschrieben.
E NSIKAT: Nein, ich glaube, das kam nicht aus Brüssel. Das kam von uns Deutschen.
H ILDEBRANDT: Da hast du recht, entschuldige. Ich nehm’s zurück. Aber was schert mich die Wahrheit, wenn die Pointe stimmt!
E NSIKAT: Weil wir gerade von Brüssel reden – die Belgier haben der ganzen Welt doch gerade erst bewiesen, wie gut es einem Land bekommen kann, wenn es über längere Zeit mal keine Regierung hat.
H ILDEBRANDT: Stimmt, das ist viel zu wenig gewürdigt worden.
E NSIKAT: Das wurde aber erst möglich nach dem Zusammenbruch des Ostblocks. Im Kalten Krieg hätten die Russen doch jedes Land, das nicht wenigstens einen Verteidigungsminister hat, sofort besetzt.
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