Wie ich Brad Pitt entführte
gelang es ihr nicht so gut. Ermattet ließ sie ihren Blick einmal rundum schweifen: Bis auf eine auf dem Laminat-Boden liegende Matratze gab es kein weiteres Möbelstück.
In der Küche stehend verzehrte Nicole ihren bereits vom Döner-Mann klein geschnittenen Kebab mit einer Plastikgabel. Dazu trank sie Leitungswasser aus einem Pappbecher. Unglücklich blätterte sie in einem der vielen Kataloge, die auf der Küchenablage gestapelt waren. Wenn sie sich doch nur entscheiden könnte!
Wie hatte sie sich darauf gefreut, in ihre erste eigene unmöblierte Wohnung ziehen zu dürfen. Vor der Polizeihochschule hatte sie noch bei ihrer Mutter gewohnt, die sie mit ihrem obsessiven Ausgefrage regelmäßig in den Wahnsinn trieb. In Münster hatte sie nur ein kleines möbliertes Zimmer gehabt. Und jetzt? Jetzt lebte sie bereits seit fast drei Monaten in der Entscheidungshölle. Es gab einfach zu viele Optionen. Sollte sie sich eher gemütlich einrichten? Landhausmäßig? Oder doch eher klassisch bürgerlich wie ihre Mutter? Und was war mit diesem trendigen, ultra-modernen Stil? Passte das zu ihr? Genau darauf lief es hinaus: Was war sie eigentlich für ein Typ?! Sie hatte keinen blassen Schimmer. Jeden Samstag lief sie panisch durch Kölns Einrichtungshäuser und wurde immer frustrierter. Sie konnte sich einfach nicht festlegen. Was wäre, wenn sie zum Beispiel jetzt ein Bett kaufen würde und dann später einsehen müsste, dass es überhaupt nicht zu den anderen erworbenen Sachen passte? Reine Geldverschwendung. Und so dicke hatte sie es ja auch nicht gerade. Sie verdiente ordentlich, aber nicht gut genug, um ihre perfekt geschnittene Achtzig-Quadratmeter-Wohnung gleich mehrmals einzurichten. Leider ging es ihr mit allen anderen Einrichtungsgegenständen ähnlich. In welcher Form und Farbe sollte sie Besteck und Geschirr kaufen, wenn sie nicht wusste, auf welchem Esstisch sie einmal liegen würden?
»Sie müssen einfach einmal anfangen. Machen Sie sich eine Liste aller erforderlichen Möbel. Messen Sie, wie groß Bett, Sofa und Esstisch maximal sein dürfen, und dann schauen wir gemeinsam das Sortiment durch«, hatte ihr ein freundlicher Ikea-Mitarbeiter angeboten. Aber war sie nicht zu alt für Ikea? Und sollte man wirklich alle Möbel in ein und demselben Geschäft kaufen, oder war das insgeheim verpönt? Erkannte man daran, dass sie keinen eigenen Geschmack hatte? Sie war verzweifelt. Denn ihr lag viel daran, dass ihre Wohnung einen guten Eindruck machte. Irgendwann würde sie vielleicht doch mal einen netten Mann finden. Und wenn sie ihn dann zu sich nach Hause einlud, sollte er doch nicht gleich wieder Reißaus nehmen.
Ob Max Benninger eine perfekt eingerichtete Wohnung hatte? Sie kannte zwar seine Adresse – Max hatte einmal ein neues Hemd nach einer Nachtschicht gebraucht und war mit ihr zu seinem Apartmenthaus gefahren – aber sie hatte seine vier Wände noch nie betreten. Sie wusste noch nicht einmal mit aller Sicherheit, ob er eine Freundin hatte. Eher nicht. Zumindest hatte er bisher noch niemanden erwähnt. Aber man wusste ja nie. Manche Männer sprachen nicht über ihre Beziehungen. Auf jeden Fall war er nicht verheiratet. Das hatte sie mal aus einem Gespräch zwischen Max und einem anderen Kollegen geschlossen. »Haha, dich wird’s auch noch mal erwischen«, hatte der Kollege zu Max gesagt, und es war ganz offensichtlich, dass es ums Heiraten ging.
Nicole putzte sich die Zähne und zog ihren Schlafanzug an. Dann legte sie sich auf ihre Matratze und versuchte, einzuschlafen. Leider ohne Erfolg. Durch ihr Gehirn jagten die Details des Falls Hagedorn. Was war nur mit ihm geschehen? Ob er wirklich ermordet worden war? Aber warum hatte man die Leiche dann aus dem Apartment geschafft? Sie durfte kein einziges, noch so unwichtig erscheinendes Detail außer Acht lassen. Die Wohnung. Sie musste unbedingt die Wohnung durchsuchen.
Auf einmal lief es ihr eiskalt den Rücken runter. Was, wenn Max gerade jetzt – anstatt zu schlafen – Hagedorns Wohnung durchkämmte? Wäre er zu so einer miesen Aktion wirklich fähig, nur um Pluspunkte bei Petersen zu sammeln? Unruhig wälzte sich Nicole hin und her. Dann hielt sie es nicht mehr aus. Sie brauchte Gewissheit.
Zehn Minuten später saß sie, nur mit einem Trainingsanzug bekleidet, wieder in ihrem Auto und überlegte. Wie sollte sie vorgehen? Auf die Polizeiwache fahren und kontrollieren, ob der Schlüssel von Hagedorns Wohnung noch immer sicher in der Asservatenkammer
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