Wie ich Brad Pitt entführte
»Tatortüberprüfung«. Mit dem Schlüssel in der Hand kehrte sie zu ihrem Schreibtisch zurück und fand dort glücklicherweise bereits eine Kopie der ersten Ergebnisse der Spurensicherung. Ein schneller Blick nach hinten belehrte sie, dass Max noch immer nicht eingetroffen war. Nicole zuckte kurz mit den Schultern. Dann würde sie den Bericht eben alleine durchackern.
Bei den diversen sichtbaren Flecken handelte es sich tatsächlich um Blut. Die Spurensicherung hatte zudem fast unsichtbare blutige Schuhabdrücke im Schlafzimmer, im Flurbereich und auf dem Fliesenboden der Küche gefunden. Sie verliefen in Richtung Wohnungsausgang und wurden von Abdruck zu Abdruck schwächer. Die Auswertung dieser Schuhspuren ergab, dass sie von einem Pumps, Größe 38 stammten. Die Marke war wegen des glatten Profils aber nicht feststellbar. Die Fußabdrücke waren von der Spurensicherung mittels Luminol sichtbar gemacht worden. Luminol ist eine Flüssigkeit, die bei Kontakt mit Blut kurz aufleuchtet. Da Luminol auf das im Blut enthaltene Eisen reagiert, kann es aber auch bei vielen anderen Flüssigkeiten aufleuchten, die ebenfalls eisenhaltig sind oder Bleichmittel enthalten, z. B. Reinigungsmittel. Daher hatte der zuständige Forensiker noch Material für eine DNA-Analyse mitgenommen.
Man hatte auch verschiedene Fingerabdrücke sichergestellt, die nach einem Computerdateiabgleich noch niemanden zugeordnet werden konnten. Die Bettlaken waren »benutzt« gewesen. Man hatte Spermaspuren und anderes DNA-haltiges Material wie Haare und Hautschuppen gefunden. Es würde allerdings noch ein paar Tage dauern, bis die Ergebnisse der DNA-Analyse zur Verfügung standen. Wie Nicole in ihrer Ausbildung gelernt hatte, musste das genetische Material erst aus den Zellen extrahiert, dann vervielfältigt, aufgetrennt und ausgewertet werden. Bis zum fertigen Code und zur Gutachtenerstellung vergingen selbst im besten Falle mindestens zwei Tage. Bei Mischspuren konnte es allerdings auch gerne mal drei Monate dauern.
Nicole machte sich eine Notiz, dass sie Frau Mehlmann-Larsen noch einmal auf die Wache bestellen musste. Schließlich wäre es von Vorteil, wenn man ihre Fingerabdrücke und DNA schon einmal mit dem gefundenen Material abgleichen könnte. Ob es ihre Fußspuren waren, die man dort gefunden hatte? Sie war schließlich bereits vor Max und Nicole selbst in der Wohnung gewesen und hatte sicherlich keine besondere Vorsicht walten lassen. Andererseits waren die Blutspuren zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich schon vollständig eingetrocknet gewesen. Waren es somit die Fußspuren des Mörders?
An der Spitze der Schneide eines der japanischen Küchenmesser hatte man ebenfalls Blut nachweisen können: Obwohl man das Messer ganz offensichtlich abgewischt hatte, waren einige, mit bloßem Auge unerkennbare Schlieren zurückgeblieben.
Der Verbleib der Leiche blieb ein Rätsel. Die Wohnung wies keinerlei Anzeichen für den Abtransport eines Toten auf. Insbesondere bei einem Erstochenen müsste es dabei wesentlich eindeutigere Spuren geben. Merkwürdig!
Nachdem Nicole den Bericht gewissenhaft durchgearbeitet hatte, blickte sie auf die Uhr: schon nach neun. Wo war Max? Eigentlich sollte er längst da sein. Ob sie ihn mal auf seinem Handy anrufen sollte? Aber dann fielen ihr die Ereignisse des gestrigen Abends siedend heiß ein, und sie legte den Hörer unverrichteter Dinge wieder auf die Gabel. Um die Wartezeit zu überbrücken, wählte Nicole die oberste Telefonnummer auf ihrem Block. Sie gehörte einer gewissen Ruth Hagedorn in Dortmund.
Freizeichen. Nicole ließ es insgesamt achtmal läuten. Aber niemand nahm ab. Enttäuscht legte sie den Hörer auf und versuchte es mit der zweiten Nummer. Hier hatte Nicole mehr Glück: Bereits beim zweiten Klingeln nahm jemand ab.
»Hallo?«
»Guten Tag, mein Name ist Nicole Kramer, Kriminalpolizei Köln. Ich hätte Ihnen gerne ein paar Fragen gestellt.«
»Ja, um Himmelswillen! Was ist denn passiert?«
»Herr Hagedorn? Bitte hören Sie mir erst einmal zu. Ich muss Ihnen nur ein paar Fragen stellen.«
»So? Na, dann ist es ja gut. Wenn morgens die Polizei anklingelt, ist das ja nicht gerade blutdrucksenkend.«
»Entschuldigen Sie die Störung, Herr Hagedorn. Sie sind doch Klaus Hagedorn?«
»Ja, natürlich. Das müssen Sie doch wissen. Sie rufen doch schließlich bei mir an.«
Nicole atmete einmal tief durch. Diese spontanen »cold calls« zur Faktenüberprüfung konnten manchmal etwas anstrengend
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