Wie ich Brad Pitt entführte
ich.
Er hatte uns in meinem Porsche hierher kutschiert. Offenbar wollte er mich immer noch nicht hinters Steuer lassen, oder aber ihm gefiel das Porsche-Fahrgefühl. Männliches Verhalten ist manchmal schwer zu deuten. Mir selbst geht es trotzdem schon ein bisschen besser, denn ich hatte auf der Fahrt einen Geistesblitz gehabt. Mir war nämlich auf einmal klar geworden, dass der Kommissar tatsächlich in demselben Haus wohnte, in dem sich auch Psychosen-Meyers Praxis befindet. Und das bedeutet, dass er alles Recht der Welt hat, dort aus der Haustür herauszuspazieren. Und zwar höchstwahrscheinlich,
ohne
Psychosen-Meyer über mich auszufragen!
Unser gestriges Treffen vor der Tür hatte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überhaupt nichts mit mir zu tun. Und Psychosen-Meyers erstauntes »Ja, kennen Sie den denn?«, machte nun auch mehr Sinn: Er hatte sich tatsächlich gewundert, dass ich mit seinem Praxisnachbarn bekannt bin. Hipp, hipp, hurra! Ich werde noch etwas länger auf freien Füßen sein! Und wenn ich dem Kommissar jetzt keinen Müll erzähle, dann bin ich ab sofort wieder nicht mehr oder weniger verdächtig, als all die anderen Porschefahrer, deren Kennzeichen mit K-V beginnt.
»Wo wollten Sie denn vorhin so schnell hin?«
Schuldbewusst blicke ich auf das dicke Pflaster an seiner linken Hand. Mist. Ich habe mich noch gar nicht richtig bei ihm entschuldigt, dass mein Außenspiegel mit seiner Hand kollidiert ist.
»Der Regen …«, fange ich an, »ich habe Sie gar nicht … es tut mir leid.«
Er sieht amüsiert auf mich herab. Hatte ich in seiner Gegenwart eigentlich schon mal in ganzen Sätzen gesprochen? Wahrscheinlich vermutet er einen Sprachfehler oder … einen kleinen Dachschaden?
»Kein Problem, Vick…, ich meine Frau Leenders.« Lustig, dass der Kommissar sich an meinen Vornamen erinnert.
»Sie können ruhig Vicki sagen«, erkläre ich großzügig. Denn schon Michael Corleone in
»Der Pate II«
empfiehlt: Halte deine Freunde nahe bei dir, aber deine Feinde noch näher. Und schließlich war er das doch, mein Feind.
»Ich heiße Max«, erklärt er. Wenn er lächelt, bildet sich ein Grübchen auf der linken Seite seines Gesichts. Ein einseitiges Grübchen. Es lässt ihn sympathisch aussehen. Ein sympathischer Feind. Wie originell.
»Wollen Sie verreisen?«
Hoppla, wo kam denn die Frage jetzt her. Ich konnte mich wirklich nicht mal einen Moment entspannen.
»Nein, wieso?«, meine ich so unschuldig wie möglich.
»Na, wegen der Reisetasche in Ihrem Auto.«
Puh, dem entgeht ja wirklich gar nichts. »Sporttasche«, erkläre ich so kurz angebunden, wie möglich.
»Ach, richtig, Sie spielen ja Tennis. Und duschen immer vorher.« Da war das Grübchen wieder.
»Unter anderem. Und Sie? Joggen Sie jeden Tag im Stadtwald?«, versuche ich, das Thema zu wechseln. Sein Gesicht wird für einen kurzen Moment ernst.
»Nein, nicht jeden Tag. Seitdem Clinton nicht mehr da ist, nur noch an den Wochenenden.«
Ich blicke ihn fragend an.
»Clinton war mein Hund«, klärt er mich auf.
»Was für einen hatten Sie denn?«, frage ich gespielt mitfühlend. Obwohl ich Tiere eigentlich wirklich mag, ist mir der ganze Small Talk mit dem Bullen nicht ganz geheuer.
»Labrador-Mix«, sagt er mit bekümmerter Stimme. Ich nicke. Sind Labradore nicht Familienhunde?
»Und wollen Sie sich keinen neuen zulegen?«
»Nein.«
Das klingt entschieden traurig. Ich überlege, etwas Tröstliches von mir zu geben, aber mir fällt gerade nichts ein. In diesem Moment schleppt die Model-Kellnerin zwei riesige Tabletts heran. Eins für jeden von uns und randvoll geladen mit gekochtem Ei, Schinken, knusprigem Brot, Butter und Marmelade.
»Was machen Sie denn eigentlich beruflich?«, fragt der Kommissar.
Ich löffele mehr Honig auf meine Brötchenhälfte. Da war sie, die bei mir beliebteste Frage aller Zeiten. Dabei war es bis jetzt ein angenehmes Frühstück gewesen. Ja, fast schon nett. Er hatte völlig darauf verzichtet, mich mit Fragen zum Thema Entführung im Allgemeinen oder der von Tom Schneider im Besonderen zu quälen. Wir redeten völlig unangestrengt miteinander. Und das will bei mir wirklich was heißen, denn normalerweise hasse ich nichts mehr, als mich mit fremden Menschen zu unterhalten. Ich habe dann immer einen dicken Knoten in der Zunge. Sprichwörtlich natürlich, nicht wirklich. Ich zermartere mein Gehirn nach gesellschaftstauglichen Gesprächsthemen. Mir wird dann immer ganz heiß. Ich fühle
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