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Wie ich Brad Pitt entführte

Wie ich Brad Pitt entführte

Titel: Wie ich Brad Pitt entführte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Grünig
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mich schüchtern und nicht ausreichend sozialisiert. Nichts ist mir so peinlich, wie eine unbeabsichtigte Gesprächspause. Aber all das war komischerweise mit Benninger nicht eingetreten.
    Bin ich zu sehr unter Strom, um meine üblichen Verhaltensmuster an den Tag zu legen, oder lag das an ihm? Der Kommissar und ich entdeckten sogar einige Gemeinsamkeiten. So hatten wir beide – ohne aufzusehen – unsere weich gekochten Eier gepellt, in Scheiben geschnitten und auf ein Butterbrot gelegt. Mit den tropfenden Eierbroten in der Hand sahen wir uns gegenseitig an und mussten unwillkürlich lachen.
    »Schmeckt so am besten«, erklärte Benninger und biss hinein. Natürlich hatte er mit seinen geschickten Händen nicht einen einzigen Fleck fabriziert. Was ich von mir nicht gerade behaupten konnte: Mein Teller und seine Umgebung waren gelb gesprenkelt. Um davon abzulenken, versuchte ich in den Sprenkelanordnungen Sternkonstellationen zu deuten: »Die hier sehen aus wie der kleine Bär«, meinte ich, stolz über meine Kenntnisse.
    »Und die hier wie Kassiopeia«, fand er. Oh! Es war sehr selten, dass ich jemanden traf, der mein Interesse für Astronomie teilte. Wir tauschten uns über Teleskope und bereits besuchte Planetarien aus. Alles lief richtig gut.
    Und jetzt musste er mit der Frage nach meinem Beruf alles ruinieren.
    »Also eigentlich studiere ich Germanistik«, antworte ich. Das ist noch nicht mal gelogen, denn offiziell bin ich ja noch eingeschrieben. Inoffiziell habe ich die Uni seit über drei Jahren nicht mehr von innen gesehen. Auf einmal habe ich keine Lust mehr auf Halbwahrheiten: »Aber in Wirklichkeit mache ich momentan eigentlich gar nichts.«
    Ich weiß, welche Kritik jetzt auf mich zukommen wird. Schließlich habe ich alles, was es dazu zu sagen gibt, bereits von meinen Eltern, Linda und Psychosen-Meyer gehört. Wie konnte man sein Leben nur so verschwenden … bla, bla, bla. Aber ich hatte gelernt, diese Vorwürfe als ein Hintergrundgeräusch, so eine Art Rauschen, wahrzunehmen.
    »Hm«, setzt er an, »wenn das wirklich das ist, was Sie machen wollen, und Sie sich das leisten können, find ich das okay.«
    Wie bitte? Es hatte noch nicht mal vorwurfsvoll oder ironisch geklungen. Mir entgleisen kurzfristig meine auf neutral gepolten Gesichtszüge: Meine Augenbrauen zieht es vor lauter Erstaunen steil nach oben.
    »Oder ist das Nichtstun nur das, was Sie tun, bis Sie gefunden haben, was Sie wirklich tun wollen?«, fragt er mich etwas verdreht. Wie philosophisch.
    »Ich weiß nicht«, erwidere ich schon wieder ungewohnt ehrlich. Er rührt einen Zuckerwürfel in seinen Kaffee.
    »Ich finde es nur wichtig, dass man sich bewusst für etwas entscheidet«, meint er, »dass man wirklich das macht, was man machen will.« Er holt Luft. »Aber dann ist es okay.«
    Das musste ich mir mal in einer ruhigen Minute durch den Kopf gehen lassen.
    »Warum sind Sie denn zur Kripo gegangen?«, will ich von ihm wissen. »Oder waren Ihr Vater, Großvater und Urgroßvater allesamt Polizisten?«
    Er grinst und hebt seine Tasse. »Nein, das war meine Entscheidung. Ich stamme von einer langen Reihe von Zahnärzten ab. Selbst meine Schwester ist Zahnärztin. Das heißt, eigentlich ist sie Kieferchirurgin.«
    Er nippt an seinem Milchkaffee.
    »Also warum?«, hake ich nach.
    »Vielleicht mag ich es, wenn die Bösen bestraft werden.« Sein Grübchen blitzt wieder auf. »Und außerdem habe ich ein ausgesprochenes Faible für Polizeiserien. Sie nicht auch?«
    Puh. Das ist ein ganz schön gefährliches Terrain. Wir tauschen uns über unsere Lieblingsfernsehserien aus. Er erzählt, wie er als Kind »Die Straßen von San Francisco« und »Kojak« gesehen hat. Immer bemüht, das Thema so weit weg wie möglich von »Südstadt« zu steuern, versuche ich ein paar Kinderserien in die Unterhaltung mit einzustreuen. »Michel aus Lönneberga« fanden wir beide gut, genauso wie »Pippi Langstrumpf«.
    Ich erzähle ihm, wie Linda und ich eines Tages entschieden haben, es Pippi nachzutun und an der Deckenlampe zu schaukeln. Sie und ich hatten uns für den Kronleuchter in Vaters piekfeinem Esszimmer entschieden. Gesagt, getan. Also schoben wir mit vereinten Kräften den relativ schweren Eichentisch in eine Ecke des Zimmers und kletterten drauf. Linda zog mit einem langstieligen Besen den Kronleuchter zu mir, und ich griff beherzt zu. Wusch! Mit herunterhängenden Beinen segelte ich einmal quer durchs Zimmer und zurück und landete wieder gekonnt auf

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