Wie ich mir das Glück vorstelle
da aus beobachte ich den einbeinigen Dschib und der kann mich aber nicht sehen. Der einbeinige Dschib klappt den Tisch zusammen und verstaut alles in einem Einkaufswagen. Beinah fällt der einbeinige Dschib dabei hin. Der wirft seine Krücke in den Einkaufswagen. Dann springt der selbst rein. Er kniet sich ganz vorne hin, nimmt die Krücke und stößt sich vom Boden ab. Der Wagen rollt ein kleines Stück vor. Einer schraubt da die Reifen von einem Kettcar dran. Der einbeinige Dschib stößt sich wieder mit der Krücke vom Boden ab. Wieder rollt der Einkaufswagen ein Stück vorwärts. Das funktioniert ganz gut. Der einbeinige Dschib rudert los und lenkt den Wagen sogar einen Bordstein runter. Ich schleiche mich aus den Sträuchern raus und gehe ihm hinterher. Vom Friedhof aus kommen wir direkt in die Straßen von der Stadt. Ein paar umgestürzte Autos und jede Menge Schutt liegt hier rum. Es riecht nach verbrannten Hühnern. Die Luft schmeckt nach Rost und tut mir im Hals weh. Ich schleiche dem einbeinigen Dschib eine ganze Weile so hinterher. Der hat jetzt zu kämpfen, weil da liegen eine Menge Steine rum und die räumt keiner weg. Es ist still. Keiner ist auf der Straße. Nur der Einkaufswagen macht ordentlich Lärm und klappert laut. Da sind zwei Frauen, die aus einem Haus rausgucken.
Wir kommen zum Fluss. Der einbeinige Dschib rollt auf eine Brücke zu. Hinter einem ausgebrannten Traktor bleibe ich stehen und gucke ihm hinterher. Ganz allein kämpft der einbeinige Dschib sich Meter für Meter mit dem Einkaufswagen vorwärts über die kaputte Straße. Dabei ist es ja viel einfacher, wenn ich den Wagen schiebe.
Die Sonne brennt jetzt richtig runter ins Tal rein und der Nebel ist weg. Keine einzige Wolke ist am Himmel. Der Fluss schimmert grün. Ich kann oben auch das große Jesuskreuz sehen. Der Berg, auf dem ich übernachte. Den verrosteten Panzer kann von hier unten aber keiner sehen.
Als plötzlich einer ruft: Tanz für uns, Zigeuner!
Drei Männer schubsen den Einkaufswagen im Kreis rum.
Sie rufen: Tanz für uns, Zigeuner, tanz, tanz!
Einer von denen singt: Uf-ta, uf-ta, uf-ta.
Der Einkaufswagen dreht sich immer schneller im Kreis, bis der umkippt. Die Männer sammeln alles ein, was auf dem Boden liegt. Die nehmen die Plastiktüten mit dem Geld aus dem Paket. Die reißen dem einbeinigen Dschib den Schmuck vom Stumpf. Die nehmen den Einkaufwagen und schmeißen den in den Fluss. Die nehmen das Paket und schmeißen das in den Fluss. Die nehmen den einbeinigen Dschib und schmeißen den in den Fluss. Die nehmen die Krücke und schmeißen die in den Fluss.
Ich laufe zum Ufer runter. Ich sehe den einbeinigen Dschib, wie der sich an dem Paket festhält. Ich renne am Fluss entlang. Der einbeinige Dschib treibt ab. Ich bin viel zu langsam. Ich verliere den einbeinigen Dschib aus den Augen.
Das Wasser ist schneller als der Junge. Der Junge springt über die Felsen. Der einbeinige Dschib und das Paket tauchen aber nicht mehr auf. Der Junge rennt weiter, bis er nicht mehr kann. Der Junge ruht sich aus. Er stützt seine Hände in die Knie. Im Kies vor ihm liegt ein toter Mensch. Er liegt auf dem Rücken, ein Bein noch im Wasser. Die Stirn liegt frei von den Haaren. Der Mund steht offen.
Ich haue dem einbeinigen Dschib ins Gesicht. Die Lippen sind lila. Ich haue ihm noch mal ins Gesicht. Der ist wirklich tot. Ich ziehe das Taschenmesser unter meiner Rückenspinne vor. Ich mache die Trainingsjacke vom einbeinigen Dschib auf und schneide das Unterhemd kaputt. Ich taste den Oberkörper ab. Der einbeinige Dschib hat viele Narben. Dünne Linien sind überall auf dem Brustkorb. Das sind keine Narben von Granatsplittern. Das sind Narben von Messerstichen. Ich ziehe dem einbeinigen Dschib die Hose runter. Als mit einem Mal sein Oberkörper nach oben schießt. Der einbeinige Dschib kotzt und würgt. Die Augen stehen ihm riesig aus dem Schädel raus. Der einbeinige Dschib spuckt und keucht.
Als er sich wieder beruhigt und atmet, sagt der einbeinige Dschib: Du hast mir das Leben gerettet, du scheiß Kretin.
Ich sage: Wo ist das Paket?
Der einbeinige Dschib sagt: Leck mich am Arsch.
Ich lasse mich neben den einbeinigen Dschib auf den Boden fallen.
Der einbeinige Dschib sagt: Hör auf zu flennen, Krüppel.
Ich helfe dem einbeinigen Dschib auf. Ich stütze ihn. Wir gehen weiter am Ufer entlang, bis der Fluss schon beinah wieder aus der Stadt rausführt. Da lebt der einbeinige Dschib ganz allein in einer Bruchbude. Hier wohne
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