Wie ich mir das Glück vorstelle
jetzt auch ich. Vom einbeinigen Dschib bekomme ich dieses Heft und diesen Bleistift. Ich schreibe das Buch. Obwohl wir jetzt jeden Tag zusammen sind und sogar zusammen leben, fragt mich der einbeinige Dschib nie nach meinem Namen. Wenn ich ihn anspreche, sage ich gar nichts. Im Kopf nenne ich ihn den einbeinigen Dschib.
DIE LETZTEN FERIEN
Nicht lang vor den letzten Ferien werde ich zum Doktor gebracht. Mein Körper hat jetzt eine 34-Grad-Krümmung und dagegen muss einer was tun. Ich gehe mit der Mutter in das Medizingeschäft. Die Mutter zieht mich aus. Der Mann gipst mich vom Hals bis zum Po ein. Der Mann schneidet mich mit einer Schere wieder raus. Das Korsett für den Jungen wird extra gebaut. Es kostet viel Geld.
Der Vater sagt: Der Junge soll wenigstens aufrecht im Leben stehen.
Erst kommt ein Baumwollfetzen um den Rücken. Dann wird das Korsett angelegt und mit drei Schnallen hinten am Rücken zugemacht. Das ist die Rückenspinne. Die Arme von der Spinne sind aus hartem Plastik. Schon nach ein paar Stunden habe ich Wunden am Körper. Zwischen die Schnallen schiebe ich das Taschenmesser. Die Rückenspinne muss ich auch nachts anhaben. Die ersten Wochen kann ich nicht schlafen. Ich kann mich nicht umdrehen. Ich kann nicht alleine aufstehen. Morgens schnallt die Mutter die Rückenspinne ab. Die Mutter reibt den Körper mit Salbe ein. Dann machen das die Schwestern. Jetzt macht das der einbeinige Dschib.
Der Doktor sagt: Daran musst du dich gewöhnen, Viktor.
Die Mutter sagt: Mein armer Junge.
Die Schwestern sagen: Maria, o Maria.
Der einbeinige Dschib sagt: Verdammter Krüppel.
Die letzten Ferien bin ich im Dorf der Glücklichen. Der Bruder geht heimlich auf die Jagd. Ich gebe ein Konzert mit den Cousinen. Ein Mann stirbt. Ich kenne den Mann nicht. Der ist mit mir verwandt.
Die Oma sagt: Der hat das Gewehr geputzt und da hat er sich ins Gesicht geschossen. Das war ein Unfall.
Ich gehe mit der Oma zusammen in den neuen Teil vom Dorf, ganz unten an der großen Straße. Der Rest von der Familie ist auch da. An den Bäumen hängen überall Zettel für den Toten. Ich erkenne ihn nicht auf dem Foto. Es gibt viel Fleisch und viele Süßigkeiten. Für die Erwachsenen gibt es Kaffee und Schnaps. Für die Kinder gibt es Fanta und Coca-Cola. Alle haben schwarze Sachen an. Die Familie stellt sich in zwei Reihen auf. Ganz viele Menschen kommen auf den Hof und gehen an der Familie vorbei. Sie geben jedem die Hand und sagen was. Die Besucher verschwinden in dem Zimmer, in dem der Tote liegt. Ein Mann kommt auf den Hof von dem toten Verwandten. Der Mann verschwindet hinter einem Stall. Der Mann kommt wieder hervor und trägt jetzt so einen Umhang wie der Priester in der Kirche. Die Kinder müssen Ministranten sein. Der Bruder ist Ministrant.
Ich sitze auf der Mauer am Schweinestall. Ich esse Wassermelone und Salami. Ich höre die Stimme von dem Priester. Ich höre das Geheule von den Verwandten und bekomme ein ganz komisches Gefühl im Bauch. Ich höre, wie einer die Nägel in den Sarg kloppt. Der Bruder kommt aus dem Zimmer von dem Toten raus. Er trägt ein Kreuz. Hinter ihm gehen die anderen Kinder und gucken auf den Boden. Dann kommt der Sarg. Auf dem Sarg liegt die Fahne. Der Tote wird zum Friedhof getragen.
Ich bleibe einfach auf der Mauer sitzen. Ich esse Melone. Die Kerne spucke ich in die Hand. Ich werfe die Kerne und die Schale in den Trog für die Schweine. Wenn ich selbst in den Trog springe, essen die Schweine mich auf. Die Schweine essen alles auf. Das kannst du mir glauben. Ich probiere das aus.
Die Oma bringt mich nach Hause. Eine von den Cousinen kommt mit. Wir machen Mittagsschlaf. Wir legen uns in ein Bett. Die Cousine streichelt mich.
Ich sage: Bitte hör auf.
Wir schlafen ein. Wir schlafen in dem neuen Zimmer, das im letzten Jahr von dem Onkel auf das Haus draufgebaut wird. Als wir aufwachen, ist es dunkel. Die Cousine und ich gehen die Treppe am Haus runter. Die Cousine hält sich an mir fest.
Sie sagt: Ich will auch eine Rückenspinne.
Die Männer stellen den Gartentisch ins Schlafzimmer von der Oma. Die Fenster kleben die mit Pappe zu. Der Fernseher ist an. Die Männer diskutieren irgendwas. Es ist kalt. Die Männer haben Jacken an. Sie trinken Kaffee und Schnaps. Der Bruder sitzt vor dem Fernseher mit dem Cousin. Die spielen Wrestling auf dem Nintendo. Ein paar andere Jungs gucken zu.
Ich gehe mit der Cousine in die Küche. Dort sitzen die Tanten, die anderen Cousinen und ein paar alte
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