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Wie ich mir das Glück vorstelle

Wie ich mir das Glück vorstelle

Titel: Wie ich mir das Glück vorstelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Kordić
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überhaupt hinguckt.
    Der Mann sagt: Zeig mir dein Haus.
    Ich gehe in die Küche. Ich gieße ein Glas voll mit Schnaps. Der Mann trinkt es aus. Ich zeige ihm das Schlafzimmer von der Oma und dem Opa.
    Ich sage: Ziehen Sie bitte die Schuhe aus.
    Aber der Mann lässt die Stiefel an und spaziert auf dem Teppich rum. Maria, o Maria. Der wirft die Röcke und die Kopftücher vom Bügelbrett und der legt sich sogar auf den Teppich und guckt unters Bett.
    Ich sage: Oben sind noch mehr Zimmer.
    Ich humple zur Treppe. Der Mann trägt mich nach oben. Ich öffne die Tür zu dem Zimmer, in dem der Onkel mit der Tante schläft. An der Wand hängt jetzt das Gewehr, mit dem der Bruder und der Cousin die Ratten totschießen. Der Mann nimmt das Gewehr mit.
    Ich sage: Es gibt noch ein Kinderzimmer.
    Ich mache die Tür zu dem Kinderzimmer auf. Der Mann wirft die Matratzen vom Bett. Unter dem Bett von der Cousine und mir liegt jetzt wieder das runde Kissen, mit dem ich Schlagzeug spielen will. Der Mann nimmt ein Messer und schneidet das Kissen auf. Er schüttelt es aus. In der Luft sind viele Federn. Fünf Handgranaten fallen runter auf den Teppich. Der Mann nimmt die Sonnenbrille ab. Seine Stirn ist fettig. Der Mann hat braune Augen. Wie ich.
    Der guckt mich an und sagt ganz leise: Verrecken sollt ihr, ihr Missgeburten. Für immer.
DER LETZTE TAG
    Der Junge steht auf und geht los. Die Geschäfte sind noch geschlossen. Ein alter Mann öffnet die Tür zu einem Souvenirladen und schiebt einen Ständer mit Postkarten heraus. Der Junge geht auf ihn zu.
    »Wir machen erst in zehn Minuten auf, junger Herr.«
    Der Junge bleibt stehen und wartet. Als er den Laden betritt, läutet es. Der alte Mann steht hinter einem Tisch, auf dem Schwimmbrillen und Muscheln ausliegen. Er schaut den Jungen lange an und zieht die Augenbrauen zusammen.
    »Guten Morgen. Was kann ich für dich tun?«
    Der Junge nimmt etwas aus der Plastiktüte, die an seinem Handgelenk baumelt.
    Er sagt: »Dieses Heft habe ich vollgeschrieben und nun habe ich kein Papier mehr. Verkaufen Sie mir ein Blatt?«
    »Ich kann dir nur einen Schulblock verkaufen. Oder eine Postkarte. Willst du eine Postkarte?«
    Der Junge geht raus an den Kartenständer und nimmt sich die erste Postkarte, die er greifen kann. Er legt sie auf den Tisch mit den Schwimmbrillen. Der alte Mann nennt den Preis. Der Junge kramt in seiner Hosentasche.
    »Geben Sie mir noch einen Bleistift?«, fragt der Junge.
    Als der alte Mann eine Schublade öffnet, um einen Bleistift hervorzuholen, greift der Junge sich die Postkarte vom Tisch und rennt aus dem Laden raus. Der alte Mann ist zu langsam. Er tritt vor sein Geschäft auf die Straße. Der Junge ist nicht mehr zu sehen. Nur ein Hund, der in eine Seitengasse einbiegt.
DIE STADT DER BRÜCKEN
    Der Krieg fängt in den Dörfern an. Dort hört er auf. Krieger kontrollieren die letzten zwei Brücken der Stadt. Auf der einen Seite stehen die Mudschis, auf der anderen warten die Kreuzer auf uns. Wir können über die Brücken rüber. Der einbeinige Dschib und ich bekennen uns zu keiner Gruppe, wir bekennen uns zu keiner Religion. Wenn es richtig blöd läuft, bewerfen uns welche von denen mit Steinen. Wir ducken uns schnell weg und gehen weiter. Auf beiden Seiten rufen uns die Menschen Flüche nach.
    Der Fluss ist grün, und wenn ich ihn mir anschaue, habe ich manchmal richtig Lust reinzuspringen. Nur das mit dem Schwimmen ist eine von den Sachen, die ich wirklich nicht kann. Alle mögen diesen Fluss. Das ist schon immer so. Von der Stadt erkenne ich gar nichts mehr. Oft muss ich mit dem einbeinigen Dschib zusammen durch die Straßen ziehen, bis ich weiß, wo was ist.
    Der einbeinige Dschib sagt: Jeder Garten ist jetzt ein Friedhof. Wenn du dir die Friedhöfe merkst, weißt du, auf welcher Seite und in welcher Straße du bist.
    Und der sagt: Wenn du gar nicht mehr weißt, wo rechts und links ist, schau hoch zu den Bergen.
    Der Große Kampf ist vorbei. Nur manchmal hören wir eine Explosion, manchmal schießt noch einer.
    Der einbeinige Dschib sagt: Wer tot ist, ist tot. Wer lebt, lebt.
    Der einbeinige Dschib sieht so alt aus wie der Opa, aber in Wahrheit ist der bestimmt nur ein paar Jahre älter als ich. Er erzählt nicht viel von sich und ich frage auch gar nicht nach. Ich weiß nur, dass der sich mit seiner riesigen Dschibsfamilie in die Berge zurückzieht. Die leben da in einer Höhle wie die Affen und fressen Ungeziefer. Aber dann kommen die Krieger da hoch und verminen

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