Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
weiter, will einfach nur schlafen und tue es. Wie lange hat mich das alte Paar wohl schon beobachtet, das mir freundlich und verständnisvoll zunickt, als ich wieder die Augen öffne?
Was jetzt? Weiter? Ja, ich muss, denn eben ist die Schulklasse in die nächste Gasse Richtung Herberge gestürmt, hat fast Eliza umgerannt, die ohne Gepäck von dort kommt. Sie hat in die Herberge eingecheckt und möchte dort wieder weg. „Es ist furchtbar schmutzig, laut und voll dort, da bleib ich nicht, ich such mir jetzt eine Pension oder ein Hotel.“ Hier? „Komm mit mir, ich gehe weiter, wir werden etwas Netteres finden. Ich hab mir im Kloster Samos notiert, dass es hier überall Unterkünfte gibt.“ Sie entscheidet sich schnell: „Okay, warte auf mich, ich hol nur meinen Rucksack und reserviere ein Bett für Janet, das hab ich ihr versprochen.“ Gemeinsam schleichen wir durch eine Straße voller Restaurants, in deren Fenstern sich Pulpos türmen, stadtauswärts auf die Feldwege.
Hatte ich wirklich richtig hingesehen, was auf der Liste im Kloster stand? „Eine Herberge? Nein hier gibt es keine, ihr müsst nach Ribadiso.“ Die beiden alten Damen, die mit verschränkten Armen und müden, blinzelnden Augen auf Küchenstühlen am Wegrand im Schatten ihres Hauses Siesta halten, nehmen uns alle Hoffnung. Meine Liste stimmt nicht, es gibt weit und breit keine Unterkunft. Daran ändert jetzt auch Elizas unglückliches Gesicht nichts, besser wir lachen, weil wir eh nichts ändern können und setzen uns zu den Frauen. Sie füllen unsere Wasserflaschen, und Eliza übersetzt mir, dass die zwei über den jährlich wachsenden, mächtigen Pilgerstrom staunen und ihn für einen Beweis für zunehmende Frömmigkeit halten. Sie können sich nicht vorstellen, dass es auch andere Motive für die Anstrengung der Wallfahrt nach Santiago de Compostela gibt...
Auch diese Rast hat ein Ende. „Los, es sind nur noch acht oder neun Kilometer“. Gut, dass wir beiden erschöpften Frauen un s mit Galgenhumor gegenseitig Mut machen, bis wir in Castañeda eine Bar entdecken. „Dort muss es Betten geben“, Eliza ist nicht zu halten, geht hinein und fragt, doch der Barbesitzer antwortet mit verschmitztem Lächeln: „Betten? Nur für meine Frau und mich“, stellt uns Espresso zur Erfrischung hin und führt uns in Versuchung: „Wenn ihr nicht mehr gehen könnt, fahre ich euch gern nach Ribadiso, es ist nur drei Kilometer von hier.“ Entrüstet lehne ich spontan ab, doch Eliza reagiert unkompliziert: „Ich bin Amerikanerin und liebe es nicht, mich zu quälen. Natürlich fahre ich mit.“ Unter 365 Schirmmützen an der Raumdecke kämpft meine Bequemlichkeit mit meiner vermeintlichen Pilgerehre, doch als der gute Mann sein Auto vor die Tür fährt und Eliza ihren Rucksack hineinlegt, gebe ich mir einen Ruck und kapituliere. Acht Stunden bin ich schon auf den Beinen, jetzt schenkt mir ein Fremder die Kräfte einer weiteren halben Stunde mit wenigen Minuten Autofahrt und setzt uns in Sichtweite eines Flusses am Waldrand ab.
„Dort unten am Río Iso liegt die Herberge von Ribadiso. Niemand hat euch gesehen, steigt schnell aus und geht diesen Weg hinunter.“ Verstohlen setzen wir die Rucksäcke wieder auf, versprechen einander verschwörerisch Stillschweigen über unsere Schummelei und gehen die letzten Meter für heute. Nur noch um eine Wegkrümmung — da tönt es plötzlich mehrstimmig aus einer Gartenbar: „Hola, Lore, wieso bist du schon hier? Das passt nicht zu deinem Schildkrötentempo!“ Die Gruppe ,Cola Automat’ sitzt beim Bier und macht sich schon wieder über mich lustig. Hoffentlich haben sie uns nicht aus dem Auto aussteigen sehen! „Ihr seid einfach zu langsam“, kontere ich lachend, laufe beschwingt in ein liebliches Flusstal und freue mich über den herrlichen Garten am Fluss vor uns, in dem die Herbergsgebäude zwischen grasenden Schafen stehen. Mit viel Platz in kühlen Bruchsteinhäusern und mit Waschhäusern im Garten, in denen ich nicht nur mich, sondern auch meine müffelnde Kleidung gründlich wasche. Es ist noch warm genug zum Wäschetrocknen, und so schmutzig wie jetzt möchte ich nicht nach Santiago kommen.
Grüppchen von Pilgern lagern im Gras am Fluss, ich sehe viele bekannte Gesichter, doch es hat für mich keine Bedeutung mehr, ich schließe mich nicht mehr an.
Beim Abendessen sitze ich zwischen fremden Menschen, und das ist mir recht. Ich bin für mich und doch in Gesellschaft, und habe eine unterhaltsame Stunde.
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