Wie ich nach Santiago de Compostela ging und ganz woanders ankam
zurück, schau mich um, zeichne einige der skurrilsten Fabelwesen und menschenfressenden Monster von der Kirchenfassade in mein Tagebuch, und verlasse die Stadt.
Der Nebel hat sich verzogen und die Sonne ist stechend heiß, doch glücklicherweise gibt es auf den nächsten achtzehn Kilometern oft Schatten und mir ist nach Langsamsein. Irgendwann überholen mich die vier Spanier, fragen, wo ich heute schlafe, und wundern sich, dass ich es nicht weiß. Weil ihre Etappen vorgeplant sind. Und nicht viel später überhole ich sie, und sie geben mir achselzuckend zu verstehen, dass ihre Pläne sich geändert haben: der Glatzköpfige hat seine Stiefel auf den Weg geworfen, versucht seine lädierten Füße zu verpflastern und geht nicht weiter. Armer Mann.
Ich wandere und wandere, genieße jeden Schritt und meine Losgelöstheit, bis am späten Nachmittag meine Müdigkeit zu groß wird. Scheinbar am Ende der Welt gibt es Airexe, einige alte Bauernhöfe und eine typisch galicische Herberge an einer Sandstraße zwischen Feldern. Ich finde ein freies Bett und einen abschließbaren Einzelduschraum, in dem ich mir endlich mit meiner Nagelschere die Haare schneiden kann. Wenn es nun noch etwas zu Essen gäbe, wäre alles perfekt.
„Ja, meine Tante kocht für dich, wenn du noch fünf Leute mitbringst.“ Die Englisch sprechende Tochter der Hospitalera hat meine Frage nach einer Mahlzeit verstanden. „Um sieben Uhr, dort rechts, im großen Bauernhaus.“
Fünf Leute, das kann nicht schwer sein, denn hier sind zwanzig, und tatsächlich sind wir im Nu acht: die ersten zwei Kinder, die mir auf dem Camino begegnen, mit ihren dänischen Eltern, einige Frauen und — Janet aus Riego de Ambros. Kreischend fällt sie mir in die Arme, und wir sind gleich wieder so albern wie letzte Woche. Es geht ihrem Fuß nicht gut, sie lässt jeden Tag ihren Rucksack mit einem Taxi transportieren und kann dann laufen, will unbedingt in Santiago ankommen und nimmt dafür Kosten und Schmerzen in Kauf. Fröhlich schwatzend humpelt sie mit uns durch ein großes Tor in das Gehöft.
In der Riesenküche steht das junge Mädchen von vorhin am Herd und rührt in Töpfen. Wir setzen uns um einen fast raumlangen Granittisch, in dessen Sockel ein Ofen eingebaut ist, der nicht nur unsere Füße wärmt, sondern auch eine Eisenplatte in der Mitte des Tisches, auf der schon zwei Suppentöpfe dampfen. „Meine Tante ist noch in der Kirche, sie wird gleich kommen.“ Ihre Großmutter, eine vielleicht siebzigjährige vitale Alte, rennt herum, klappert mit Geschirr und Besteck, strahlt uns mit ihrem zahnlosen Mund an und schwatzt pausenlos auf uns ein. Eliza aus Washington übersetzt, die Dänenkinder staunen über alle Fremdartigkeit, ich hole Suppenteller, die Tante stürzt herein und macht sich über Bratpfannen her, ihre Schwester stürmt hinterher, legt einen halbmetergroßen, eisernen Kirchenschlüssel aus den Händen und beginnt ebenfalls herumzuwirbeln. Dabei erklärt sie, dass die Eier von ihren Hühnern, das Gemüse aus ihrem Garten, der Käse aus der Produktion ihres Mannes und das Quittengelee von Oma stammen, stellt Teller um Teller mit immer neuen Speisen hin — „das müsst ihr auch noch unbedingt probieren“ —, erzählt, dass sie hier alle zusammen wohnen und wie viele Familienmitglieder es sonst noch gibt, räumt, kocht Kaffee, sucht Schokolade für die Kinder und Kekse für uns, fragt ungläubig, „möchtet ihr wirklich nichts mehr?“, und erzählt dazwischen die restlichen Familien- und Krankengeschichten, bis wir alle genudelt und ermattet zusammensinken. „Aber ihr müsst wenigstens noch ein Stück selbst gebackenes Brot für morgen früh mitnehmen.“
Der Abschied fällt schwer und ist laut und herzlich. „Danke, ihr wunderbaren Frauen, dass ihr uns Fremde so verwöhnt habt, es war lecker und fröhlich und gemütlich und wohltuend.“ Wir zahlen jeder sechs Euro, probieren, ob unsere Beine unsere dicken Bäuche noch tragen, und gehen durch die kühle, klare Luft zur Herberge hinüber. Käuzchen rufen und der pralle Vollmond leuchtet am schwarzen Nachthimmel, ich fühle mich wie im Paradies und möchte den Abend am liebsten noch nicht beenden.
Auch anderen gefällt die entrückte Stimmung. Einige Leute sitzen auf dem Weg und schauen zum Mond hinauf, und einer von ihnen ist — Brad, mein Flaschenfinder! „Unglaublich, wir haben uns länger als drei Wochen nicht gesehen, und heut Morgen traf ich Savannah und jetzt dich!“ Brad zuckt
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