Wie ich Rabbinerin wurde
sich die politischen Machtverhältnisse ändern – auch wieder genommen werden. Anders ist es, wenn der Motor aller emanzipativen Entwicklung nicht allein im Menschen liegt, sondern als eine ewige Herausforderung Gottes in die Lebensgeschichten der Menschen hineinwirkt und sie darauf verpflichtet. Judentum ist eine Religion, die zu Emanzipation und Stärke befähigt – also auch die Frauen. Dass weiblicher Eros eine aktive Rolle darin spielt, unterstreicht nur die jüdische Dynamik. Aus dieser Umwertung der kulturellen Normen von »männlich« und »weiblich«, dieschon in der Hebräischen Bibel verankert liegt und die die Rabbiner im Talmud fortführen, schöpfe ich meinen Feminismus. Nicht aber aus einer begrenzten feministischen Sichtweise, die Judentum, Christentum und Islam als gleichermaßen »patriarchalisch« auf den Müllhaufen wirft. Genauso sehe ich in dieser Umwertung einen der Schlüssel, das Judentum anhand gegenwärtiger Debatten, etwa der Genderdiskussion und des Feminismus, erneuernd zu beleben.
Das Publikum in der Begine reagiert auf meine Ausführungen erwartungsgemäß verblüfft. Es ist das erste Mal, dass ich öffentlich aus der Religion heraus argumentiere, aber nicht im Religiösen bleibe, sondern auf dessen gesellschaftliche Dimension verweise. Es ist eindeutig nicht die Standardhaltung der Rabbiner und schon gar nicht etwas, was ich im jüdischen Religionsunterricht gelernt habe.
Im Publikum sitzen zwei Frauen aus der »Jüdischen Gruppe«. Ihre Mimik und Gestik signalisiert mir, dass sie meinen Ausführungen nicht zustimmen. Die eine ist Israelin. Mehrfach fällt sie mir ins Wort und korrigiert meine Aussprache von hebräischen Wörtern oder gibt ihnen, vom modernen
Iwrit
ausgehend, eine etwas andere Bedeutung. Mich verunsichert die Leichtigkeit, mit der sie das Hebräische für sich reklamiert, ohne scheinbar die Nuancen des biblischen Hebräisch kennen zu müssen – während ich mir mühsam Schabbat um Schabbat biblisches Hebräisch aneigne, aber noch immer keinen Text ohne Wörterbuch lesen kann. Sie hält nichts von meiner aus der Bibel und dem Talmud abgeleiteten Argumentation. Nach meinem Vortrag steht sie auf und erklärt mit umwerfender Selbstsicherheit dem Publikum, dass sie als Israelin eine selbstbewusste Jüdin sei. Sie sei im Militär gewesen, habe ihr Land verteidigt und brauche keine Gedankenverdrehungen zum Talmud, der ohnehin das Werk des Exils, der
Gola
, sei.
Von der anderer Frau weiß ich, dass sie in einer religiösen Familie aufgewachsen ist. Sie hat die gelebte religiöse Praxis jedoch hinter sich gelassen. Trotzdem kann sie mehr als alle anderenim Raum meine Ausführungen beurteilen. Sie sagt nichts während des Vortrags, macht jedoch eine verschlossene Miene. Ich frage sie später, wie sie den Abend gefunden hat. – »Unmöglich!« Ich hätte die Bibel und den Talmud willkürlich ausgelegt, ohne eine Ahnung davon zu haben, was die rabbinischen Autoritäten hierzu sagen. Es sei außerdem gefährlich, vor einem gänzlich unvorgebildeten Publikum derart frei und locker über Dinge zu sprechen, die leicht missverstanden werden. Nach ihrer Ansicht hätte ich mich besser zum Antijudaismus in der feministisch-christlichen Theologie geäußert, über den zu diesem Zeitpunkt eine erregte Debatte geführt wird.
Auch diese Reaktion verunsichert mich. Die Frau hat die jüdische Tradition von Kind an gelebt, auch wenn sie sie heute nicht mehr praktiziert. Die Quellen, die ich zitiert habe, sind ihr, wie ich annehme, bekannt. Was berechtigt mich, frei mit ihnen umzugehen, während eine, die den traditionellen Umgang mit ihnen kennt, ganz vorsichtig mit ihnen umgeht? Was berechtigt mich, unabhängig von Rabbinern und gelehrten Autoritäten die Quellen nach meinen Interessen und Vorlieben zu lesen und dabei neue Perspektiven aufzuzeigen? Ist das, was ich treibe, nicht etwas, was zu Ende gedacht die althergebrachte jüdische Tradition angreift und zerstört?
Bei der Diskussion in der Begine will eine nichtjüdische Frau wissen, ob sich die jüdischen Männer auch heute noch nach dem talmudischen Ideal verhalten. Maya antwortet, dass die heutigen jüdischen Männer leider eher konservativ seien und meist ganz konventionelle Vorstellungen von Frauen hätten. Dies löst allgemeine Erheiterung aus.
Mayas Antwort macht mich jedoch nachdenklich. Wir repräsentieren beide unterschiedliche Typen. Maya würde bald ihren Freund heiraten und zumindest vordergründig eine
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