Wie ich Schriftsteller wurde
mein Held, ein
gewisser Damon Milow, am Anfang des Buches in nichts Besonderes verwandelte.
Daher kann ich literarisch völlig eigenständig formulieren:
Damon lachte, nahm den Koffer mit den Diamanten und warf
ihn aus dem Fenster. Die Finger der Dämmerung schienen danach zu greifen. Etwas
Ungutes lag in der Luft. In der Ferne klagte ein geschundener Hund den Mond an.
Mehr werde ich hier nicht über meinen Roman verraten. Auf
jeden Fall verzichte ich auf beliebte Schriftstellertricks, zum Beispiel auf
die Schilderung rustikaler Sexualpraktiken oder abstruser Morde auf der ersten
Seite.
Ich schreibe die ganze letzte Woche unseres Urlaubs. Es sind
ausgesprochen elementare Tage, die Worte und Sätze strömen nur so dahin. Ich
esse, trinke, schreibe, Paula und ich lieben uns und nachher schlafe ich wie
ein Baby. Je näher das Ende des Urlaubs kommt, desto mehr plagt mich die
Befürchtung, dass mich die Ortsveränderung aus dem Konzept bringen könnte, dass
ich allein wieder zurück reisen würde, der Schriftsteller aber in Castiglione
d’Orcia bleiben würde. Paula hat da weniger Bedenken.
Um es kurz zu machen: Der Schriftsteller kam mit. Mein Leben
hat sich um einiges geändert, seit ich meine Berufung gefunden habe. Ich sehe
jetzt meine direkte Umgebung, die Menschen, die mich begleiten dürfen, meine
ganze große literarische Erfahrungswelt mit völlig anderen Augen. Paula sagt,
dass ich an manchen Tagen wirke, als schwebte ich zwanzig Zentimeter über dem
Fußboden, und sie meint, dass sich ihr mit beiden Füßen auf dem Boden eigentlich
lieber wäre. Außerdem hat sie etwas gegen meine neue Angewohnheit jeden meiner
Sätze augenblicklich zu notieren, weil er ja als ein berühmtes Zitat meiner
Person in die Literaturgeschichte eingehen könnte.
Benno durfte meine ersten Seiten lesen, nachdem er eine
kleine Vereinbarung unterzeichnet hatte, mit niemandem darüber zu reden und
auch auf Anfragen von Verlagskonzernen mit Stillschweigen zu reagieren. Er
bekam einen ungewöhnlich starken Lachanfall, offenbar seine Art auf die
Konfrontation mit großer Kunst zu reagieren. Als er wieder Luft bekam, meinte
er aber noch unter dem Eindruck meiner Zeilen:
„Genau, Alter, jetzt hast du’s raus! Es würde mich nicht
wundern, wenn du da einen Millionseller in Arbeit hast.“
Paula verdrehte die Augen, als sie diesen Satz hörte, auch
sie hat offenbar Schwierigkeiten, mit meiner neuen Rolle klar zu kommen. Sie
und Benno werfen sich in letzter Zeit immer merkwürdige und viel sagende Blicke
zu, wohl ihre Art, ihre gemeinsame Freude über das Zusammensein mit einem Genie
auszudrücken.
Ohne mein Zutun werde ich jetzt völlig anders gesehen,
vielleicht hat sich etwas an meiner Aura geändert, seit ich meinen Weg gefunden
habe. Hermann Onno von Heimeran, der Vorsitzende des „Bundes Freier
Schriftsteller – kreatives Schreiben“ wurde allerdings weniger von meiner
Ausstrahlung angelockt als von einer Anzeige der Edition Black Forest in der
ZEIT, in der mitgeteilt wurde, dass ich in Kürze einen Enthüllungsroman oder
eine Familiensaga in ihrem Hause veröffentlichen würde. Hermann Onno von
Heimeran gratulierte mir gestern telefonisch zu diesem schönen Erfolg und bat
mich, am Abend zum Treffen seiner Vereinigung zu kommen. Ich folgte seinem
Wunsch.
Hat er einen Pferdefuß?
Als ich eintrete, liegt eine eigentümliche Stimmung in der
Luft. Das Licht im Raum ist abgedunkelt, alle anwesenden organisierten
Schriftsteller haben sich in einem Stuhlkreis um einen einzelnen Stuhl mit
einem einzelnen Schriftstellerkollegen darauf versammelt und lauschen seinen
Worten, die allerdings alles andere als flüssig aus seinem Munde kommen. Heute
ist die Fraktion der Jungen Deutschen Kahlköpfigkeit besonders stark vertreten,
die meisten davon mit aktuellen Nerd-Brillen.
„Therapieabend!“ klärt mich der zweite Vorsitzende, ein Mann
namens Oswin von Wolkenbruch oder ähnlich auf. Offenbar gehört es unter den
Schriftstellern zum guten Ton, einen Adelstitel zu führen. „Wir versuchen, uns
gegenseitig in unserer künstlerischen Selbstsicht zu unterstützen.“
„Ich habe ein Begleitbuch zu einer Fremdschäm-Reality-Show
geschrieben!“ Besteht ein Bertolt-Brecht-Typ mit gebrochener Stimme. Offenbar
sind sie gerade in der Phase der Selbstbezichtigungen.
„Ich wollte das nicht, aber es gab keine anderen Aufträge …“
„Wir verstehen das, Heinz-Georg“, beruhigt ihn Hermann
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