Wie ich Schriftsteller wurde
sah das nüchtern. Außerdem entgegneten er, Tina, Trixi
und Winfried auf Hannahs Ansinnen, sie wieder einmal auszulagern, dass sie
lieber zu Hause auf dem Sofa abhängen wollten als sich schon wieder ins Kino zu
schleppen.
Eine gewisse Renitenz rief auch die Tatsache hervor, dass Winfried
nicht einsehen wollte, dass Hannah ein derartiges Privileg genoss, nämlich die
gesamte WG nach ihren Wünschen und Vorstellungen zu dirigieren, während er zum
Beispiel verzweifelt um seine abendlichen drei oder vier Stunden in der
Badewanne kämpfen musste, weil die weibliche Fraktion der WG nicht pinkeln
konnte, während er, genießerisch mit Rotwein, Comics und Kopfhörern in der
Wanne lag. Eine ganze Ansammlung klassischer Dilemmata. Ideal für einen Roman.
Allerdings habe ich dann irgendwann die Stadt verlassen und
die Wohngemeinschaft aus den Augen verloren, und ich habe nicht die geringste
Ahnung, wie ich diesen hessisch-gordischen Knoten entwirren soll, da mir der
weitere Hergang verborgen blieb. Vermutlich ist irgendeiner oder irgendeine
ausgezogen, oder es waren sogar mehrere, oder es wurden die üblichen
Kleinfamilien gegründet, aber das käme in einem Roman nicht sonderlich
dramatisch rüber. Ich könnte natürlich Winfried und Hannah bis aufs Blut um
ihre Privilegien kämpfen lassen, bis einer von ihnen zum Mörder wird oder Feuer
legt und damit die ganze Wohngemeinschaft schutzlos in den Dschungel des
Frankfurter Wohnungsmarktes schickt, wo sie sicherlich alle auf
Nimmerwiedersehen verschollen sind. Ich sehe hier gewisse Parallelen zu
Berichten über Südpol-Reisen, orte meine Protagonisten in der brennenden
Julisonne im Frankfurter Kreuz auf der Suche nach Schnee für Tee, weiß das
diesen Gedanken schon jemand vor mir gedacht hat, und erkenne sofort, dass ich
literarisch auf dem Holzweg bin.
Kein WG-Roman, fertig, das hatte ich doch schon früher
abgehakt.
Kandinskys Kurzgeschichten
Ich wache auf, irgendwie froh, jetzt alleine zu wohnen. Na
gut, auch an diesem Morgen steht Benno schon wieder auf der Matte, bringt
immerhin Brötchen mit.
„Moin, Alter, du glaubst nicht, was ich für dich eingestielt
habe!“
Er platzt fast vor Begeisterung, strahlt über das ganze
Gesicht wie der Reaktor von Tschernobyl und ich organisiere geistig bereits
meine Flucht, weil ich Bennos organisatorisches Talent und seine katastrophalen
Folgen bereits in der Vergangenheit kennen lernen durfte.
„Es ist Wahnsinn – ich habe einen Verleger für dich!“
Diesen Satz wollen viele Autoren hören, ob allerdings von
Benno? Meine Begeisterung erreicht keine spontanen Höhepunkte, als Benno
weitere Details berichtet. Er hat einen Freund aus seiner früheren Männergruppe
– er ist da wegen sexistischer Sprüche rausgeflogen – und dessen Schwiegervater
hat in Freiburg einen Verlag für regionale Wanderkarten namens Edition Black
Forest, und weil kein Arsch mehr regionale Wanderkarten braucht, weil alles mit
dem Navi auf dem Handy wandert oder zu Hause bleibt, versucht er jetzt, sein
Programm zu erweitern, und er hat schon eine Abteilung für Kiosk-Souvenirs und Geschenkbücher
mit kleinen Schokoladen-Gimmicks aufgemacht und eine weitere für schwäbische Mondkalender
und esoterische Lebensberatung, und er meint, das Geschäft liefe ausgesprochen
gut, und Trendromane würden sein Programm sicherlich gut ergänzen.
Mein Problem bei der Sache: Ich habe keinen Roman. Aber kaum
zu glauben, Benno hat gleich einen Vertrag mitgebracht. Zwölf eng bedruckte
Seiten, ich lese nur den Teil mit den Angaben über das Honorar und die Termine.
2500 € bei Unterzeichnung, denselben Betrag noch einmal bei
Manuskriptablieferung.
Arbeitstitel: „…………………………“ Bitte hier eintragen, steht
darunter.
Abgabetermin: „…………………………“ Bitte hier eintragen.
Ein klasse Vertrag, finde ich.
„Kandinsky konnte auch nie an seinen Kurzgeschichten
arbeiten, bevor ihm sein Verleger einen Vorschuss bezahlt hatte, habe ich mal
gehört“, versucht mich Benno in den Kreis erlauchter Literaten einzuordnen.
„Kandinsky war ein Maler, du Pfeife!“
„Ist doch egal, du Haarspalter. Unterschreib hier, und die
Kohle fließt.“
Ich überlege kurz. Paula hat in ein paar Tagen Ferien, hat
mich gefragt, ob ich nicht mit nach Italien komme. Goethe war auch in Italien,
allerdings ist er mehr oder weniger dorthin gelaufen. Ich kann mir jetzt auch
eine Fahrt mit der Bahn
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