Wie ich Schriftsteller wurde
erstaunliche
Erkenntnis für ein Säugetier seiner Art, ein beachtliches Faktum im Liebesleben
zwischen den Arten, so erscheint es mir zunächst, doch schon Sekunden später
zweifle ich an meiner Eingebung und frage mich: Hey, Alter, was für eine Art
Roman willst du denn eigentlich schreiben? Und wohin soll das führen?
Na ja, skurril würde es bei einer solchen Themenstellung auf
jeden Fall zu gehen, ich erinnerte mich an den Schwan, der ein Tretboot liebte und
sofort fällt mir auch der Dackel meiner Tante Lilli ein, den eine lebenslange
Liebe mit einem Sofakissen verband.
„Und wer bitte soll so ein Buch lesen?“, höre ich einen
fiktiven Benno sagen, den meine angestrengte Fantasie in den Türrahmen meines
Arbeitszimmers projiziert hat. „Schwäne? Tretboote? Sofakissen?“
Nein, das Sujet meines Romans muss menschlicher sein, und es
soll sich auf keinen Fall mit Paula befassen, denn sonst käme Benno wieder mit
seinen abwegigen Ideen …
Pieter
Da fällt mir die dramatische Geschichte von Pieter, dem
niederländischen Postboten aus Dinxperlo ein, der jeden Tag nach dem Dienst auf
seinem Postfahrrad 39 km über die Grenze zu seiner Melanie, Verkäuferin in
„Mannis Frittenbude“, nach Borken-Gemen radelte und am frühen Morgen wieder
zurück, um, gestärkt durch eine unvergleichliche Liebesnacht, die Bürger
Hollands zuverlässig mit Briefen zu versorgen. Bis ihm eines Nachts ein
betrunkener niederrheinischer Bauer sein Fahrrad entwendete und es nach
erfolgter Benutzung in den Teichen der Burg Gemen final entsorgte. Pieter
geriet infolge einer Notlüge („Ik ben ziek, baas!“) in eine
Zuverlässigkeitskrise, wandelte sich unter dem quälenden Selbstvorwurf, ein
chronischer Lügner zu sein, zum chronischen Coffieshop-Kunden und legte schließlich
sein verantwortungsvolles Amt nieder, um sich morgens – so gegen 11.30 Uhr –
wieder im Spiegel begegnen zu können.
Seine geliebte Melanie verließ ihn deshalb nicht etwa,
sondern ließ vielmehr Borken-Gemen hinter sich und eröffnete kurz darauf einen
Coffieshop mit Lieferservice in Dinxperlo. Das war’s dann aber auch schon. Zu
wenig für einen Roman, finde ich. Allenfalls die Äußerungen von durch diese Art
von Irritationen verunsicherten Schnellimbiss-Kunden wären noch von
literarischem Interesse. Etwa in der Art: „Watt, Erika? Bist du die neue
Melanie?“
Zu klein für einen großen Roman.
Hannah
Vielleicht brauche ich einen Themenkreis mit etwas mehr urbanem
Ambiente, irgendwas zwischen Off-Off-Broadway-Programmkino, Bubble-Tea-Society,
leicht frauenbewegt mit Ankerpunkten in Ökoladen und feministischer
Stillgruppe. In meiner Erinnerung stoße ich leider auf eine Wolke dunkler
Materie. Hat eine Frau ihre Handtasche aufgemacht?
Schließlich fällt mir Frankfurt ein, Mainmetropole, und
mitten darin Hannah, eine selbstbewusste, engagierte Frau, in Partei und
Umweltorganisation engagiert. Dieselbe forsche und hübsche Dame lebte glücklich
und zufrieden in einer Wohngemeinschaft mit Winfried, Tina, Trixi und Horst, führte
aber ein ausgesprochen skurriles Liebesleben, zumindest, was die Feste
körperlicher Vergnügungen betraf.
Während ihr wohl über Wochen verbale Liebesbeweise genügten,
geriet sie etwa einmal im Monat in einen Rausch der Sinne, den sie mit einem
ihrer Lover auszuleben pflegte. Dabei trat allerdings ein Problem auf: die
große Altbauwohnung, in dem ihre WG residierte, hatte einen ausgesprochen
offenen Schnitt, und die Türen widerstanden Hannahs Lustbekundungen auch nur
während des Vorspiels. Das führte anfangs zu tagelangen kollektiven Erheiterungen,
Zitate aus Hannahs Schlafzimmer waren beim Abendessen der große Renner, weniger
bei Hannah als bei ihren Mitbewohnern. Sozial durchaus kompetent, kam Hannah
die Idee, die auch herkömmliche Paare gewisse Freiräume verschafft, wenn Kinder
im Spiel sind. Nur musste Hannah nicht ein oder zwei Sprösslinge, sondern die
ganze WG ins Kino schicken, wenn sie der Sinnestaumel zu packen begann.
Anfangs funktionierte das ein paar Mal ganz gut, aber mit
der Zeit reagierte die Wohngemeinschaft eher unwillig, zum einen, weil das
aktuelle Kinoprogramm bereits bekannt war, zum anderen, weil der ständige
Verzehr von Cola und Popcorn Winfried hatte 20 Kilogramm zunehmen lassen. Auch
unter Kostengesichtspunkten wurden weitere Kinotermine abgelehnt.
„Meinste, ich blech’ für teure Kinokarten, damit du
ungestört poppen kannst?“
Horst
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