Wie immer Chefsache
Kalorienbedarf bis in den Mai zu decken.
Tante Gerlinde, die sich bei jedem Besuch über das ignorante Verhalten Onkel Günthers aufregte, der ihr höchstens grunzend zunickte und sich dann wieder dem Fernsehprogramm widmete, war selber ein Ausbund an Lebendigkeit. Von der wollte sie ihrem Schwager etwas abgeben. Ein wenig beschwingter auf der Couch zu sitzen könnte ihm nicht schaden, dachte sie, griff heimlich in ihren Haschvorrat, den sie bei ihren Schiffstouren nach Holland immer wieder auffüllte, denn ein kleiner Joint machte ihr lustiges Leben manchmal noch etwas bunter, und schmuggelte eine ordentliche Portion des Zeugs in Tante Theas Plätzchenteig. Sie ging davon aus, dass so kurz vor Weihnachten endlich die Familienkekse dran waren, aber Tante Thea hatte noch Platz in den Hundedosen und dachte gar nicht daran, für die menschlichen Zweibeiner zu backen. Ahnungslos stach sie kleine Sterne aus dem Teig, drückte in jeden Keks eine Haselnuss – Arcos Lieblingsvariante – und schob die Bleche in den Ofen. Ebenfalls ahnungslos fuhr Tante Gerlinde nach Hause und lachte sich ins Fäustchen. Völlig ahnungslos fraß Arco am gleichen Abend eine Handvoll sternenförmiger Nussplätzchen.
Mattes hörte von den Folgen, als Tante Thea am nächsten Morgen aufgelöst mit seiner Mutter telefonierte. Arco lag in ihrer Küche, hatte Mühe, seinen Kopf zu heben, und reagierte kaum noch. Er war vergiftet worden, vermutete Tante Thea und weinte vor Kummer. Es war ihr allerdings ein Rätsel, wo er das Gift gefressen haben könnte, und obwohl er so kraftlos herumlag, stellte er sich doch hin und wieder mühsam auf die Beine und torkelte zu seinem Wassernapf.
»Er hat noch Lebenswillen«, schluchzte Tante Thea, »aber er läuft, als könnte er seine Beine nicht mehr sortieren. Seine Nerven sind angegriffen.«
Mattes warf sich sofort auf sein Fahrrad und sprintete zu Tante Thea. Tatsächlich, Arco lag im Sterben. Wie sonst war es zu erklären, dass er beim Klingeln nicht bellend zur Türe gestürzt kam und auch sonst kein Interesse an seinem Besuch zeigte. Es war ihm alles völlig egal. »Sieh mal!«, schluchzte Tante Thea, warf Arco einen Fleischknochen vor die Schnauze, ging dann zu ihm hin und hob ihn einfach wieder auf. Es war unglaublich. Nur seine Lieblingskekse, die sternförmigen mit den Haselnüssen, fraß er noch, wenn er zwischendurch wach war. Tante Thea weinte viel und verwöhnte ihren Liebling in seinen letzten Stunden.
Zwei Tage später lebte Arco immer noch. Tante Thea hatte herausgefunden, dass sein matter Zustand an den Plätzchen lag. »Die Haselnüsse sind nicht in Ordnung. Da muss bei der Lagerung etwas schiefgegangen sein, die sind verdorben«, sagte sie.
»Seit Arco keine Nussplätzchen mehr bekommt, geht es ihm jeden Tag besser«, und sie fügte glücklich hinzu, »Er macht wieder richtig Theater, der Sauhund, wenn er einen Knochen hat.«
Tante Gerlinde bekam einen Lachanfall, als sie davon hörte, und bedauerte zutiefst, dass die restlichen Plätzchen im Müll gelandet waren, ehe sie Onkel Günther erreicht hatten. Tante Thea hielt Gerlindes Erklärung jedoch für eine ihrer typischen Übertreibungen und schwor darauf, dass die Haselnüsse verdorben gewesen waren.
Als Mattes später mit immer noch anhaltendem Triumphgefühl in seine Wohnung kam, begrüßte ihn Mina freudig. Astrid hatte sie in seine Wohnung zurückgebracht und einen Zettel auf den Tisch gelegt. »Dein Hund ist blöd!!!« Drei Ausrufezeichen, das bedeutete, dass sie extrem aufgebracht war. Astrid sprach zwar gerne mit Ausrufezeichen, verwendete sie bei schriftlichen Mitteilungen aber nur, wenn es äußerst dringend und angesichts einer katastrophennahen Situation unverzichtbar war. »Hast du ihr was kaputtgemacht?«, fragte Mattes Mina und kraulte sie liebevoll hinter den Ohren. Er lachte plötzlich: »Du hast mich heute auf der Straße erkannt und fast verraten. Deine dicke Nase ist viel besser als die von der dummen Astrid.« Er wusste genau, dass Mina nicht verstand, wovon er redete, aber wenn sie ihn so verständnisvoll ansah, konnte er einfach nicht anders. »Kluges Mädchen«, lobte er. »Du verstehst kein Wort, aber du bist trotzdem ein ganz kluges Mädchen.« Warum zum Teufel verfiel er in eine Art Babysprache mit viel zu hoher Stimme? Astrid hatte vermutlich recht. Hundehalter hatten alle einen Knall.
Als er schon im Bett lag, schreckte er plötzlich hoch. Was war, wenn Astrid die Sendung gesehen hatte? Sie guckte sonst
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