Wie Inseln im Strom
Frennick und ich …”
Adam schüttelte den Kopf. “Nein. Ich bleibe. Ich möchte hören, was Mr. Frennick zu sagen hat.”
Sie legte die Stirn in Falten.
Er ahnte, was sie dachte, und senkte die Stimme. “Schon gut. Ich weiß von Tillys Baby.”
“Was?” Sie war gut, aber ganz konnte sie den Schock nicht verbergen. “Du weißt davon? Woher?”
“Tilly hat es mir vorhin erzählt, als ich nach ihr gesehen habe. Es schien ihr schwer auf der Seele zu lasten, vielleicht wegen des Insulinschocks. Ich weiß, dass sie vor zweiundsechzig Jahren schwanger wurde und das Baby zur Adoption freigegeben hat. Und dass du sie gedrängt hast, einen Detektiv mit der Suche nach ihrer Tochter zu beauftragen. Sie hat mich um meinen Rat gebeten.”
“Oh.” Lacy warf Frennick einen Blick zu. “Nun, ich …”
“Sie schien zu glauben, dass er noch keine konkreten Nachforschungen angestellt hat.” Er zog eine Augenbraue hoch. “Offenbar irrt sie sich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mr. Frennick dich mitten in der Nacht hier am Strand aufsucht, wenn er keine Neuigkeiten hat. Und genau die möchte ich hören.”
Lacy wusste, wann sie verloren hatte. Sie hob das Kinn ein wenig, aber sonst war ihr gar nichts anzumerken.
“Na gut, Mr. Frennick”, sagte sie. “Wie es aussieht, hat Mrs. Barnhardt sich Mr. Kendall anvertraut. Sagen Sie uns, ob Sie Tillys Tochter gefunden haben.”
“Ja, ich fürchte, das habe ich.” Der Mann mit den traurigen Augen atmete tief durch. “Ihr Adoptivname lautete Caroline Scott. Bis vor etwa zwei Jahren hat sie in der Nähe von Boston als Krankenschwester gearbeitet.”
“Und was ist vor zwei Jahren passiert?”, fragte Lacy leise.
“Vor zwei Jahren ist sie gestorben.”
Mit den Schuhen in der Hand hatte Lacy im feuchten Sand mindestens eine Viertelmeile zurückgelegt, als Adam sie endlich einholte. Vertieft in ihre traurigen Gedanken hatte sie nichts um sich herum wahrgenommen – nicht einmal den rennenden Mann hinter ihr.
Daher zuckte sie erschreckt zusammen, als er ihren Ellbogen nahm und sie sanft abbremste.
“He”, sagte er leise. “Rede mit mir.”
Sie drehte sich nicht um, denn im Moment hatte sie ihre Gesichtszüge nicht unter Kontrolle. “Ich will nicht reden”, sagte sie. “Ich will nur allein sein.”
“Zweiundsechzig Jahre sind eine lange Zeit, Lacy. Tilly muss gewusst haben, dass ihre Tochter vielleicht nicht mehr lebt. Und du auch.”
“Natürlich wusste ich das.” Aber sie hatte nicht geglaubt, dass das Schicksal so grausam sein konnte. Nach all den Jahren voller Reue, voller Sehnsucht hatte Tilly eine zweite Chance verdient. Und jetzt musste sie erfahren, dass ihre Tochter für immer fort war – dass sie sie niemals wiedersehen würde.
Sie war so naiv gewesen, so gutgläubig. Lacy starrte auf den Ozean hinaus, der ihr plötzlich noch gewaltiger und weiter als sonst vorkam. Manchmal hatte der Anblick für sie etwas Tröstliches, aber in diesem Moment fühlte sie sich nur klein und hilflos.
“Tilly ist sehr zäh”, sagte Adam. “Sie wird es verkraften.”
“Ich weiß.” Sie schluckte. “Ich weiß.”
Sie wusste es tatsächlich. Sie wusste alles darüber, wie es war, zäh zu sein und Tiefschläge zu verkraften. Das zu erdulden, was man erdulden musste. Aber für Tilly hatte sie sich etwas Besseres gewünscht. Für sie hatte sie ein Happy End gewollt, mit Freudentränen und Lachen, mit Vergebung und Erleichterung. Mit all den Umarmungen und Küssen, die sich zweiundsechzig Jahre lang in Tilly angestaut hatten, seit ihr Baby geboren und fortgebracht worden war.
Lacy wusste nur zu gut, wie all die Liebe, die man in sich einsperren musste und nicht herauslassen konnte, einen Menschen vor Schmerz fast um den Verstand brachte.
“Ich werde es ihr nicht erzählen”, fuhr sie fort und sprach schneller als sonst, als würde sie befürchten, ihre Stimme könnte versagen. “Deshalb habe ich Frennick ohne ihr Wissen angewiesen, mit der Suche zu beginnen. Damit sie … wenn er eine schlechte Nachricht überbringt … wenn ihre Tochter nicht gefunden wird oder nicht gefunden werden will … oder gar noch schlimmer …”
Ihre Stimme wurde immer leiser, bis sie ganz verstummte. Dann schlang sie die Arme um den Oberkörper und umklammerte ihre Ellbogen, als hätte sie Angst, ganz die Fassung zu verlieren.
“Lacy.” Adam legte die Hände auf ihre Schultern und drehte sie behutsam zu sich herum. Das Mondlicht erhellte ihr Gesicht, und er stöhnte leise
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