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Wie Jakob die Zeit verlor

Wie Jakob die Zeit verlor

Titel: Wie Jakob die Zeit verlor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Stressenreuter
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als nur Stefans Haut. Noch eine Berührung von Stefan und Jakob würde schreien! Also hatten sie beschlossen, in den Zoo zu gehen, um den Pavianen auf dem Affenfelsen einen Besuch abzustatten.
    „Die erinnern mich immer an schwule Männer“, hatte Stefan gesagt und herzhaft gegähnt.
    „Wieso das denn?“ Jakob war noch zu verschlafen gewesen, um diesen Gedankensprung nachzuvollziehen. Stattdessen hatte er Stefan beim Aufstehen beobachtet und sich darüber geärgert, beim Anblick seines nackten Körpers schon wieder geil zu werden.
    „Warst du noch nie da und hast sie beobachtet? Sie denken den ganzen Tag nur ans Ficken.“
    Stefan war gerade vom Bäcker zurückgekommen. Der Duft frischer Brötchen aus der Tüte in seiner Hand stieg Jakob in die Nase, während er sich vor dem Badezimmerspiegel rasierte. Über dem Rauschen des Wasserhahns hätte er das Klingeln des Telefons beinahe nicht gehört.
    „Ich gehe nicht ran“, sagte Stefan. „Ich will nicht gestört werden.“ Er versuchte, Jakob von hinten zu umarmen, aber der stieß ihn unsanft weg.
    „Doch. Geh ran. Es könnte Marius sein.“
    Stefans Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, und um seinen Mund bildeten sich feine Linien. Mittlerweile kannte ihn Jakob gut genug, um zu wissen, dass dies ein Ausdruck von Verletztheit war. „Marius?“
    Jakob starrte in sein Spiegelbild. „Ich … ich hab ihm gesagt, er soll anrufen, wenn was ist. Er bekommt heute früh die Ergebnisse der neuesten Blutuntersuchung.“
    Die Linien um Stefans Mundwinkel vertieften sich. Seine Stimme klang enttäuscht. „Man könnte meinen, ihr seid noch zusammen. Ihr seht euch jeden Tag, ihr wohnt sogar noch in derselben Wohnung.“
    Es stimmte. Nach dem Ende der Beziehung war Jakob nicht ausgezogen. Er konnte sich einfach nicht zu diesem Schritt überwinden, und Marius hatte ihn angefleht zu bleiben: „Wenigstens das nimm mir nicht weg. Wir können doch versuchen, wie in einer WG miteinander klarzukommen.“
    Und Jakob hatte eingewilligt, aus einem schlechten Gewissen heraus, aus Bequemlichkeit, aus finanziellen Gründen. Weil er einen Platz brauchte, an dem er sich von Stefan erholen konnte.
    In den letzten Wochen war das Gefühl der Erschöpfung, das er nach ein paar Stunden mit Stefan verspürte, immer stärker geworden. Es war, als saugte Stefan ihn leer, zapfte seine Gefühle ab – wie ein Vampir, der sich am Blut seiner Opfer satttrank. Beinahe benommen taumelte Jakob nach Hause, wenn er ein oder zwei Tage mit Stefan verbracht hatte, kroch auf sein Bett und schlief traumlos, reglos, wie ein Toter.
    „Ich kann Marius damit nicht vollkommen alleine lassen!“ Jakobs Antwort fiel heftiger aus, als er beabsichtigt hatte. Seine Hände zitterten, und er legte vorsichtig den Nassrasierer zur Seite. „Ich … ich fühle mich verantwortlich.“
    Und auch das entsprach der Wahrheit. Es war eine Illusion gewesen zu glauben, dass sein Gefühl der Zerrissenheit verschwinden würde, wenn er reinen Tisch machte und sich für einen der beiden Männer entschied. In Gedanken war er häufig bei Marius, wenn er in Stefans Armen lag. Und wenn er Marius zu einem Arzttermin begleitete, dachte er an Stefan. Nichts hatte sich geändert.
    „Aber du bist nicht …“
    „Geh endlich ans Telefon!“, fiel ihm Jakob ins Wort. Unwirsch lief er in Stefans Schlafzimmer und nahm das Gespräch selber an. „Ja, hallo?“
    „Sechs“, hörte er Marius’ dumpfe Stimme am anderen Ende der Leitung. „Es sind nur noch sechs Helferzellen.“
    Jakob sah aus dem Fenster in das gleißende Licht und war für einen Moment blind. „Scheiße“, flüsterte er. „Und jetzt?“
    Marius antwortete nicht, und Jakob stellte sich vor, wie er vor seinem Zeichenbrett saß und mit den Schultern zuckte, hilflos, verloren, allein. „Kannst du kommen? Ich meine, ich will nicht stören oder so, aber … bitte?“
    „Ja. Ja, natürlich. Ich mache mich auf den Weg.“
    „Du willst zu ihm?“, fragte Stefan, als Jakob das Telefonat beendet hatte. Es war mehr eine Feststellung. Er vermied es, Jakob in die Augen zu sehen.
    „Ich muss.“
    Stefan schwieg.
    „Er hat ganze sechs Helferzellen!“, fuhr Jakob ihn an. „Was soll ich denn machen?“
    Stefan schüttelte den Kopf und drehte sich weg. „Geh“, brachte er heraus.
    „Stefan, bitte, ich …“
    „Du sollst gehen!“
    Jakob seufzte frustriert. Warum war alles so kompliziert geworden? „Ich rufe an nachher, okay? Wir treffen uns heute Abend.“
    Stefan tat, als

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