Wie Jakob die Zeit verlor
Darkroom. Er wusste, was er wollte. Der Sling wurde gerade frei; ohne zu zögern, schälte er sich im Halbdunkel aus seiner Jeans, warf die Hose auf das kühle Leder und legte sich darüber, spreizte die Beine, nahm Poppers, bot sich an.
Stumm nahm er den ersten Schwanz in Empfang, spürte ihn in sich eindringen, ein kurzer Schmerz und dann ein gleichmäßiger Fickrhythmus. Er schloss erneut die Augen, stieß die fremden Hände fort, die sein Gesicht berührten, drehte den Kopf weg von den Lippen, die seinen Mund küssen wollten. „Nur ficken“, murmelte er. „Ficken und abspritzen.“ Fühlte den anderen Mann kommen und dann den nächsten Schwanz in sich. „Mehr“, stöhnte er. „Mehr.“
Aber es war nie genug, an diesem Abend genauso wenig wie in den Nächten zuvor. Als gäbe es nicht genug Schwänze auf der Welt, um die Leere, die er verspürte, auszufüllen. Als gäbe es nicht genug Männer, um Marius aus seinen Gedanken zu verscheuchen. Nach einer Stunde taumelte er frustriert aus dem Sling und zog sich an, bestellte ein frisches Bier, lehnte sich an eine Wand. Seine Knie zitterten.
Plötzlich tauchte ein Kerl neben ihm auf, in Bundeswehrstiefeln, Militärhose und schwarzer Lederjacke, schlank, drahtig, einige Jahre älter als Jakob, vielleicht vierzig, ein zerfurchtes Gesicht mit dichten Augenbrauen und graublauen Augen, die halb versteckt unter dem Schirm einer Lederkappe hervorlugten. Am Hals konnte Jakob einen Leberfleck erkennen, genau über dem Kragen des eng sitzenden T-Shirts. Seine Lippen umspielte ein wissendes Lächeln.
„Ich habe dich beobachtet“, sagte er. Eine Stimme, die heiser war von zu vielen Zigaretten, von zu langen, durchzechten Nächten. „Ich weiß, was du suchst.“
„Ach ja?“ Jakob musste sich anstrengen, damit man seine Trunkenheit nicht bemerkte. „Und was ist das?“
„Bestrafung.“
„Und wer bist du? Ein Psychologe?“ Mittlerweile konnte er den herablassenden, schnippischen Tonfall der Berliner gut imitieren.
Der Kerl schüttelte den Kopf. „Jemand, der gerne bestraft. Der die Sehnsucht danach in den Gesichtern der anderen Männer lesen kann.“
„Ich glaube nicht“, erwiderte Jakob und wandte sich ab.
„Und ich glaube doch“, gab der andere zurück, drehte ihm ohne Vorwarnung den Arm auf den Rücken und zwang Jakob auf die Knie, drückte Jakobs Lippen an seinen Schritt.
„He!“ Jakob wollte protestieren, sich losreißen, aber dann spürte er, wie er fiel, wie er losließ, wie sich sein Mund öffnete. Hinter seinen geschlossenen Augen war zum ersten Mal nur wohltuende, friedliche Schwärze und in seiner Nase der strenge, aber nicht unangenehme Geruch des anderen Mannes. Jeder Gedanke an Marius wurde von dem Schwanz verdrängt, der sich in seinen Schlund schob, und der Hand, die seinen Nacken wie ein Schraubstock umklammerte.
Jakob verbrachte sieben Nächte in Holgers Haus in der Nähe eines kleinen Sees am Rande der Stadt, gefesselt an ein Andreaskreuz oder über einen Holzbock gebeugt, den Mund mit einem Knebel verschlossen, damit die Schmerzensschreie, die die Peitschenhiebe auf seinen Rücken und Arsch aus ihm herauspressten, nicht den schwarz verkleideten Kellerraum verließen und auf die Straße hallten. Rote Striemen bildeten sich auf seiner Schultern, sodass er nur auf dem Bauch liegen konnte, jedes Anlehnen an einen Stuhl ihn das Gesicht verziehen ließ. Holger war unbarmherzig, aber einfühlsam, verschob Jakobs Grenzen jede Nacht ein Stückchen weiter, und Jakob fühlte, dass er den Schmerz verdient hatte, die Bestrafung gerecht war, dass er büßen musste. Vielleicht hatte Holger recht, vielleicht war es in seinen Augen zu lesen gewesen. Wenn Holger ihn nach ein oder zwei Stunden losband, brach er schluchzend zusammen, zog die Knie an die Brust und bettelte um Gnade. Aber Holger schien ihn zu durchschauen: Irgendwo in seinem Innersten verbarg sich noch immer ein Rest Widerstand, der noch nicht gebrochen war und nach mehr Unterwerfung schrie, ein Stück Auflehnung, das weiter unterjocht werden wollte, ein Fetzen Schuld, der Buße tun wollte. Dann begann Holger von vorne und prügelte mit einem Lederknüppel auf ihn ein, bis Jakob jede einzelne Faser seines Körpers wehtat, bis der Schmerz endlich sein schlechtes Gewissen überlagerte.
„Wie heißt er?“, fragte Holger am nächsten Samstagmorgen. In der Dämmerung hatte es erneut geschneit; hell reflektierte die Sonne den frisch gefallenen Schnee, der sich wie ein weißer, weicher
Weitere Kostenlose Bücher