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Wie Jakob die Zeit verlor

Wie Jakob die Zeit verlor

Titel: Wie Jakob die Zeit verlor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Stressenreuter
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damals den spontanen und etwas hilflosen Beschluss gefasst, den Firmensitz freundlicher zu gestalten, und war auf eine intensive Begrünung der Büros verfallen. Aus einem Grund, der Arne mittlerweile entfallen ist, war die Umsetzung dieser Anordnung an ihm hängen geblieben. In seiner Unerfahrenheit hatte er sich an mehrere Gärtnereien mit der Bitte um Kostenvoranschläge gewandt, den preiswertesten akzeptiert, seine Sekretärin damit beauftragt, das Nötige zu veranlassen, und war anschließend nach Dresden, Berlin und Magdeburg geflogen, um Kundentermine wahrzunehmen.
    Als er eine Woche später wieder in die Firma kam, hatte er zuerst angenommen, sich auf unerklärliche Weise im Gebäude geirrt zu haben. Die Empfangshalle hatte sich in einen Urwald verwandelt. Eine der Wände war komplett begrünt worden, mit hängenden Gräsern, bunten, exotischen Blumen, Farnen und Efeu, auf dem Boden befanden sich Tropenpflanzen, die das durch die Frontscheiben blitzende Sonnenlicht brachen. Das Merkwürdigste jedoch war, dass ihn plötzlich der Bananenbaum neben der Eingangstür ansprach und sagte: „Südseite. Hier knallt den ganzen Tag die Sonne drauf. Die großen Fenster wirken wie ein Prisma. Wenn wir hier noch ein paar Zitronen- und Orangenbäume aufstellen, können diese IT-Fritzen demnächst den Wochenmarkt beliefern.“ Arne ließ vor Schreck die Tasche mit seinem Laptop fallen. Wenn ihn im nächsten Moment ein Affe auf die Schulter gesprungen wäre, hätte ihn das kaum mehr erschüttern können. Dann wurde eines der Bananenbaumblätter zur Seite geschoben und ein markantes, unrasiertes Gesicht starrte ihn überrascht aus tiefblauen Augen an. „’tschuldigung. Ich dachte, Sie wären einer meiner Mitarbeiter.“
    „Und wer zum Teufel sind Sie?“, fragte Arne und sammelte seine Tasche vom Boden auf, in der Hoffnung, dass sein Laptop den Aufprall überlebt hatte.
    „Jakob Brenner. Gärtnereibetrieb. Ich habe den Auftrag, das ganze Gebäude zu begrünen.“
    „Ja, aber …“ Arne starrte gegen seinen Willen fasziniert auf die grüne Wand, die durch die Pflanzen zu etwas Lebendigem geworden zu sein schien. „Wie funktioniert das? Wieso wächst so was an der Wand? Verstößt das nicht gegen irgendwelche physikalischen Gesetze?“
    „Internes Bewässerungssystem. Eigentlich gar nicht so kompliziert und zurzeit der neueste Schrei. Die Idee kommt natürlich aus den Staaten.“ Der Mann trat aus dem Schatten des Bananenbaums und wischte seine schmutzstarrenden Hände an der grünen Arbeitskleidung ab. „Gefällt’s Ihnen nicht?“
    „Doch, schon, aber … ich hatte mehr mit Topfpflanzen gerechnet, um ehrlich zu sein. Ein Ficus hier, eine Palme da …“
    Jakob lachte. „Hören Sie, mit dem Geld, das Ihre Firma bereit ist auszugeben, können Sie das ganze Gebäude mit Ficus Benjamini überschwemmen. Und nach ein paar Monaten sind die meisten vertrocknet, weil sich niemand verantwortlich fühlt, sie zu gießen. Das hier ist mehr oder weniger selbstversorgend.“
    „Und das bleibt im Rahmen des Kostenvoranschlags?“, fragte Arne misstrauisch.
    Erst jetzt schien Jakob zu begreifen, dass er seinen Auftraggeber vor sich hatte. „Sie sind Herr Konitzer?“ Arne nickte. „Da ist sogar die wöchentliche Betreuung der Pflanzen durch mich oder einen meiner Mitarbeiter mit drin.“
    Jakob führte ihn an die bepflanzte Wand und strich liebevoll über die Gräser. „Fassen Sie sie ruhig an.“ Er nahm Arnes Hand und ließ ihn das Grün unter seinen Fingern spüren.
    „Das ist so abgefahren“, murmelte Arne.
    „Das ist Leben“, erwiderte Jakob.
    Wieder blickte Arne in diese unfassbar blauen Augen, in denen er das Meer zu sehen glaubte, ein tiefes, dunkles Meer, das an einem windstillen Tag wie ein Spiegel das Licht reflektierte und in den Himmel zurückwarf.
    Jakob liegt auf dem Sofa, Arne sitzt in einem der beiden Sessel, ein paar leere Schachteln mit Essensresten befinden sich auf dem niedrigen Tisch vor ihnen. Clinton hat es sich auf einem Kissen neben Jakob bequem gemacht, den schmalen Kopf zwischen den Pfoten vergraben, und schläft. Nur seine Ohren zucken unruhig.
    Jakob starrt auf den Fernsehschirm, aber von dem Film, den Arne ausgeliehen hat, bekommt er kaum etwas mit. Ein banaler Actionthriller mit Nicolas Cage oder Leonardo di Caprio; er ist nicht sicher, welcher von beiden, Schauspieler waren noch nie seine Stärke. Auch Arne sieht nicht hin, nach dem Essen sind seine Augen schwer geworden, und sein Körper

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