Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
und steckt sie in den Mund. »Nach dem Sommer … Nach dem Sommer kannst du mit der dritten Klasse beginnen.«
»Glaubst du, dass ich da mitkomme?«
Ich habe geträumt, dass ich in einer Schulklasse saß und die anderen Schüler mich auslachten. Ich sollte IDIOT buchstabieren und an die Tafel schreiben.
Mein Vater hört auf zu kauen.
»Die anderen gehen schon seit zwei Jahren zur Schule. Jeden Tag. Bist du sicher, dass ich gleich gut bin?«
Mein Vater schüttelt sich vor Lachen. Er lacht so heftig, dass sein Bier überschwappt und kleine Schaumwellen über die Soße rollen.
»Du bist nicht gleich gut«, sagt er und wischt sich mit der Serviette die Tränen aus den Augen. »Du bist verdammt noch mal besser. Egal, in welche Klasse du kommst, du wirst immer besser als der Beste sein. Aber eins darfst du nie vergessen«, sagt er. »Es ist in Ordnung, dass du besser als die anderen bist. Aber versuch, nicht zu gut zu sein. Versuch, es nicht zu zeigen. Sonst stellen die Leute nur dumme Fragen.«
Ich verspreche es ihm, obwohl es mir schwerfällt, ihm zu glauben.
Mein Vater bestellt mehr Braten, sagt: »Iss. Iss, bis du platzt.« Auch eine zweite Limonade bestellt er mir.
»Aber wir machen auch mit unserer Schule weiter. Vielleicht nur sonntags, wenn wir nichts anderes zu tun haben. Du musst ja nicht genauso dumm werden wie der Rest der Welt.«
W ir sitzen in einem großen Park auf einer Decke. Ich war schon einmal hier, beim Flaschensammeln mit meinem Vater. Heute sind wir es, die Reste ausleeren, lächeln und die Flaschen an Männer und Frauen mit schmutzigen Händen weitergeben. Wir sind umgeben von Menschen, die kommen und gehen und das Gras platt trampeln, sodass man Regenwürmer und alte Kronkorken sieht.
Wir haben den ersten Mai, und Sara sagt, ihr Sommerkleid sei zu dünn. Mein Vater gibt ihr seine Jeansjacke. Sie ist zu groß, Saras Hände verschwinden in den Ärmeln. Sara bleibt auf der Decke sitzen, während wir uns an einem Imbisswagen anstellen. Ein Mann schenkt mir einen Aufkleber, und ich klebe ihn auf mein T-Shirt. Er ist groß und rund, ich frage meinen Vater, ob es sehr wichtig sei, dass wir aus der EG austreten. Er lächelt: »Ich glaube nicht, dass du und ich je Mitglieder der EG waren.«
Wir kaufen Grillwürste, die auf einer Seite aufgesprungen und auf der anderen angebrannt sind, und essen sie von Papptellern auf der Picknickdecke. Musik schallt von einer Bühne, ein Mann singt, und ich verstehe das Wort Frieden . Der restliche Text wird von Trommeln und Gitarren übertönt. Sara kleckert Ketchup auf die Ärmel der Jeansjacke und verspricht, sie zu waschen. »Das geht wieder ab«, sagt sie. Mein Vater lacht nur. Nach dem Essen begleitet er mich zum Pinkeln in die Büsche. Ich muss aufpassen, wo ich hintrete, viele Blätter sind schon nass, überall sind kleine Seen. Mein Vater pinkelt auch, er richtet den Pimmel auf mich und sagt: »Ich pinkle dich voll.« Ich laufe weg, stolpere in einen Busch und hole mir einen Kratzer an der Wange, aber ich lache noch immer, als er mir auf die Beine hilft.
Ich trinke Himbeerlimonade, mein Vater legt den Kopf in Saras Schoß. Sara lobt den Aufkleber, den ich bekommen habe. Sie schaut auf die Uhr.
»Wenn wir die Rede hören wollen, müssen wir gehen.« Mein Vater tritt vorsichtig gegen die Plastiktüte, sie klirrt. »Wir haben noch Bier.«
Sara steht auf, und mein Vater muss sich aufrichten. Der Schoß, auf dem er lag, ist weg.
»Ich möchte gern ihre Rede hören.« Ich helfe meinem Vater, die Decke zusammenzurollen.
Vor der Tribüne stehen schon mehrere Hundert Menschen.
Auf der Bühne laufen Männer umher und entfernen leere Flaschen, sammeln Zigarettenkippen auf und rollen Leitungen ein. Als sie fertig sind, betritt eine blonde Frau die Bühne.
Sie heißt Monika, das lese ich auf den Schildern, die die Leute hochhalten. Sie trägt Jeans und ein T-Shirt, ihr Haar ist im Nacken hochgesteckt. Sie lächelt und geht ans Mikrofon. Die Menschen klatschen, einige pfeifen. Obwohl wir vor Kurzem noch ganz hinten standen, sind nun Menschen auf allen Seiten. Ich kann nichts mehr sehen, nur noch Rücken. Mein Vater nimmt mich auf die Schultern.
Die Frau auf der Bühne lächelt, als könne sie nicht glauben, dass so viele gekommen sind, aber als sie die Stimme erhebt, wirkt sie sicher und ungeniert. Alle hören gebannt zu, nur die Stimme der Frau schallt aus den Lautsprechern. Sie sagt, es gehe nicht um rot oder blau, sondern um Menschen und deren Zukunft.
Weitere Kostenlose Bücher