Wie keiner sonst / ebook (German Edition)
tun wollte, trage den Müll runter und weiß plötzlich nicht mehr, warum ich im Hof stehe.
»Aber wenn du zeichnest?«, fragt mein Vater. Das stimmt, ich kann stundenlang zeichnen. Dann brauche ich nur mit den Augen zu zwinkern, und schon geht die Sonne unter.
Mein Vater tritt ein paar Schritte zurück, er ist fertig mit den Sesseln. Er zieht eine Zigarette aus der Brusttasche, raucht und betrachtet seine Arbeit. Dann winkt er mich herbei. Das Holz ist dunkler geworden. Der Lack auf den Armlehnen ist abgeblättert, ich habe gesehen, wie er sie mit Sandpapier und Feile bearbeitet hat.
Die Löcher, die er in die Beine gebohrt hat, sind so klein, dass ich in die Hocke gehen muss, um sie zu erkennen. »Termiten«, sagt er. »Schrecklich, diese Termiten.« Ich sehe ihn an, verstehe nicht. Mein Vater lächelt.
»Die Leute mögen neue Dinge. Oder richtig alte. Alles, was dazwischen liegt, schmeißen sie weg. Also mache ich die Dinge älter.«
Nachdem wir unsere Brote gegessen haben, nimmt mein Vater eine Standuhr auseinander. Ich soll den Himmel beobachten und ihn beim ersten Anzeichen von Regen warnen. Er hasst es, drinnen zu arbeiten.
Mein Vater legt das Zifferblatt vorsichtig auf Zeitungspapier und taucht den Pinsel in ein Glas Salpetersäure.
»Wenn ich mit dieser Uhr fertig bin, ist sie über hundert Jahre alt. Und englisch.«
Ein Mann betritt den Hof. Zuerst will ich lachen, er sieht aus wie ein Stehaufmännchen, kurze Beine und runder Unterkörper. Aber er kommt entschlossen auf uns zu, ich glaube, es ist der Chef.
Er geht zu den Sesseln, bückt sich und untersucht sie genau mit dem Zeigefinger.
»Nicht schlecht«, sagt er.
»Danke.« Mein Vater setzt die Uhrzeiger vorsichtig wieder ein, hält die kleinen Schrauben im Mundwinkel. Der Chef steht auf und blickt sich im Hof um, als würde er plötzlich bemerken, dass etwas nicht stimmt. Dann erblickt er mich in der Ecke, wo ich so still wie möglich sitze.
»Wer zum Teufel ist das?«, fragt er und zeigt auf mich.
»Mein Sohn.«
»Das hier ist kein Kindergarten.«
Mein Vater setzt das Glas auf das Zifferblatt.
»Er hat hier nichts verloren.«
Ich sitze ganz still auf der Kiste. Wäre gern unsichtbar.
»Er muss hier weg.« Die Stimme des Chefs zittert.
Mein Vater richtet sich auf, er ist einen Kopf größer als der Chef, wiegt aber höchstens halb so viel.
»Wir können auch gehen, wenn Sie wollen.«
Der Chef dreht sich um und geht in die Werkstatt. Ich höre Werkzeug auf den Boden knallen. Obwohl mich keiner mehr beachtet, sitze ich immer noch regungslos auf der Kiste. Mein Vater wischt die Uhr mit einem Lappen ab, kommt zu mir und streicht mir über die Haare.
»Er wirft mich nicht raus. Nicht heute und nicht deinetwegen.«
Er zieht mir neckend am Ohr. »Das kann er sich gar nicht leisten. Keiner macht es so billig wie ich. Und … außerdem kann ich das ziemlich gut.«
Auf dem Heimweg sitze ich wieder auf der Ladefläche. Es beginnt zu regnen, warmer Sommerregen. Mein Vater lächelt. Ich öffne den Mund, spüre die Tropfen auf der Zunge.
E in Geräusch weckt mich auf. Wie ein Tier, das sich zum Sterben in unsere Küche gelegt hat. Ich weiß, was es ist, und dass es noch weitergehen wird. Vielleicht zehn Minuten, vielleicht bis die Sonne aufgeht.
Mein Vater liegt zusammengekrümmt auf der Pritsche. Sein T-Shirt ist nass vor Schweiß. Er krallt sich fest in die Decke, es wäre nicht das erste Mal, dass er einen Bezug zerreißt.
Ich streichle ihm über die Haare, die langen, verschwitzten Strähnen kleben auf seiner Haut. Ich hole einen sauberen Lappen und trockne ihm Hals und Stirn.
Jedes Mal, wenn wir umziehen, hoffe ich, dass die Albträume nicht mitkommen.
Obwohl ich es kaum glaube.
Wir ziehen um, und eine Zeit lang sind wir sie los. Für eine Woche oder ein paar Monate, je nachdem.
Ich lege mich neben ihn. Die Pritsche ist schmal, ich liege auf der Kante, spüre das harte Holz an der Seite. Ich lege die Arme um seinen Hals, streichle ihm über die Stirn, meine Finger bleiben in seinen Haaren hängen, aber er wacht nicht auf. Er wacht nie auf. Ich könnte ihn anschreien, ohne dass er die Augen öffnet.
Mein Vater schluchzt im Schlaf. Aber es lässt schon nach, er spürt, dass er nicht allein ist.
Wir schaffen das schon, flüstere ich. Das sagt er immer zu mir, wenn wir in der Klemme sitzen. Wir schaffen das schon, wir beide.
N ach dem Frühstück wischt mein Vater den Tisch ab. Er passt auf, dass er jeden Krümel und jeden Mohnsamen
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