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Wie Kinder heute lernen

Titel: Wie Kinder heute lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Korte
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kennengelernt haben. Dieses Muster kann man sich vorstellen wie eine ausgefahrene Buckelpiste auf einem Feldweg, die durch oftmaliges Befahren erzeugt wurde. Während des Erinnerns wird nun in den Stoßdämpfern des Autos das gleiche raumzeitliche Muster aktiv wie beim Erzeugen der Buckelpiste.

    Abbildung 7 : Nervenzelle
    Betrachten wir an dieser Stelle auch die einzelnen Nervenzellen. Von jeder dieser Zellen gehen Verzweigungen aus. Der längste Zweig ist meist das Axon, das die vom Zellkörper fortführenden Botschaften überträgt. Alle anderen Verzweigungen heißen Dendriten (griech.: Baum). Sie nehmen Botschaften von Axonen anderer Zellen entgegen. Die »Haut« (Membran), die jede Nervenzelle umschließt, hat winzige Löcher, sogenannte Kanäle, die nur bestimmte Ionen durchlassen. Die Botschaft bzw. der Nervenimpuls (Aktionspotenzial) wandert durch das
Axon, weil sich Abschnitt für Abschnitt elektrisch geladene Teilchen (Ionen) durch die Kanäle der Membranen bewegen. Axone sind meist von Isolierhüllen (Myelinhüllen) aus Gliazellen umgeben (griech. glia: Kitt), die die Fortleitungsgeschwindigkeit erhöhen und in der Ernährung der Nervenzellen und bei der Homöostase (Selbstregulation) ihrer Salze helfen. Jede Verbindung zwischen zwei Nervenzellen heißt Synapse und ist der Schauplatz der synaptischen Übertragung. Jedes synaptische Endköpfchen enthält Bläschen (Vesikel), die mit Neurotransmittern - das sind chemische Botenstoffe - gefüllt sind. Erreicht ein Nervenimpuls des Axons eine Synapse, bewirkt dies eine Verschmelzung der Bläschen mit der Wand des Endköpfchens. Dies führt zur Freisetzung der Botenstoffe, die auf der anderen Seite des synaptischen Spaltes andocken, an dafür genau vorgeprägte Stellen, den Rezeptoren. Diese beeinflussen nun wieder das ionische Gleichgewicht oder setzen weitere Botenstoffe frei. Mittlerweile sind mehr als 100 solcher Botenstoffe bekannt. Im Gehirn wichtig sind vor allem die Botenstoffe, die von Aminosäuren abstammen: Glutamat als wichtigster erregender Botenstoff, GABA als hemmender Botenstoff oder auch Noradrenalin, Dopamin, Serotonin. Hinzu kommen das Acetylcholin oder Botenstoffe, die größer sind und aus einer Kette von Aminosäuren bestehen (Peptide). Lern- und Gedächtnisvorgänge bestehen vor allem darin, dass Synapsen verstärkt oder abgeschwächt bzw. strukturell verändert werden. Sie sind die Orte, an denen sich Lernprozesse materialisieren.

    Eine Nervenzelle ( Abb. 7 ) im Ruhezustand überträgt keine Reize. Erst wenn Aktionspotenziale (elektrische Erregungen) entstehen, wird ein Signal an nachgeschaltete Zellen weitergegeben. So entsteht durch die Nervenzellen, die miteinander Kontakt haben, eine Art Datennetz - jede einzelne Nervenzelle steht mit 1000, manchmal 10 000 anderen Nervenzellen in einem ständigen Informationsaustausch. Dabei sind die Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen, die Synapsen, entscheidend. Autobiografische Erinnerungen und das Gedächtnis für Fakten sind somit über die gesamte Großhirnrinde verteilt.
Nervenzellen als Lernagenten
    Präsentiert sich also derselbe Reiz öfter oder üben wir etwas regelmäßig, kann es zunächst im Hippokampus zu einer Verstärkung spezifischer Synapsen kommen - ein Phänomen, das als Langzeitpotenzierung bezeichnet wird. Die Zellen erinnern sich sozusagen an den ankommenden Reiz, er genießt gewissermaßen ein »Vorfahrtsrecht«, wenn er zusammen mit einem anderen Ereignis eintritt. Man spricht von assoziativem Lernen, da zwei Ereignisse miteinander verknüpft werden. Ein einfacher Fall: Lernt ein Hund, dass es beim Ertönen einer Glocke immer Futter gibt, genügt nach einigen Übungen allein der Glockenton, um seinen Speichelfluss in Vorfreude auf das Futter anzuregen. Wenn wir als Erwachsene den typischen Geruch von Turnmatten wahrnehmen, kommen schnell die Gefühle, die wir als Kind beim Schulsport erlebten, hoch - z. B. Unwohlsein bei den Unsportlichen angesichts der damaligen Niederlagen. Erinnerungen sind somit weitverzweigte Aktivierungen verschiedener neuronaler Strukturen und deren Verknüpfung zu einem Netzwerk. Der entscheidende Parameter, der hier reguliert wird, ist die Synapse, ein 1/20 millionstel Meter großer Graben zwischen den Nervenzellen,
dessen Botengang chemische Neurotransmitter übernehmen ( Abb. 7 ). In der Symphonie des Erinnerns sorgen sie für die Kommunikation zwischen den Instrumenten.
    Ein solches Netzwerk von Nervenzellen kann man sich vorstellen wie ein

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