Wie Kinder heute lernen
erteilen. Wäre Intelligenz lediglich das, was Intelligenztests messen, hätten sich die Menschen vielleicht zu Recht an Frau vos Savant gewandt. Aber IQ-Tests messen vor allem eines: wie gut und wie schnell jemand IQ-Tests ausfüllen kann. Auch ein Blick auf das Zustandekommen dieses extrem hohen IQ-Werts ist lohnend: Als zehnjähriges Mädchen hat Frau vos Savant einen IQ-Test absolviert, in dem sie Ergebnisse erreichte, wie sie normalerweise für Erwachsene mit knapp 23 Jahren üblich sind. Nach der Formel »Intelligenzalter (23) mal 100 geteilt durch ihr Lebensalter (10)« hat sich ein Wert von 230 ergeben. Dieses Verfahren zur Messung von Intelligenz ist heute allerdings nicht mehr gebräuchlich.
Aktuell ergibt sich der IQ-Wert daraus, welchen Wert ein Mensch innerhalb einer Normalverteilung erreicht, wie er also innerhalb der Bevölkerung positioniert ist ( Abb. 8 ). Mit Klugheit oder Weisheit haben die Ergebnisse von Intelligenztests jedoch wenig zu tun. Das Aufgabenspektrum reicht vom Vervollständigen von Wortketten und Ergänzen von Bildern über das Finden von Mustern in Figuren bis zum Fortführen von Zahlenfolgen und dem Erkennen von Gleichheit zwischen räumlich verdrehten Objekten. Faktoren wie Kreativität und praktisches Wissen - etwa das schnelle Erkennen bei einer Klausur, welche Aufgabe man sinnvollerweise zuerst bearbeitet, welche man getrost weglassen kann und bei welcher es weniger um Wissen als um das Erraten eines Ergebnisses geht - werden nicht erfasst. Auf der anderen Seite sind Intelligenztests in der Tat gute Verfahren, um analytische und verbale Fähigkeiten zu testen.
Die Frage, ob sich menschliche Fertigkeiten mit einer einfachen Zahl wiedergeben lassen, verneint Howard Gardner. Er geht davon aus, dass es »die« menschliche Intelligenz nicht gibt, sondern nur multiple Fähigkeiten unabhängiger Komponenten.
Eine mathematische Intelligenz ist unabhängig von sprachlicher oder Bewegungsintelligenz, genauso wie es eine Intelligenz für räumliches Vorstellungsvermögen und musikalische Begabung gibt. Andere Psychologen dagegen halten einen generellen Faktor (»g«-Faktor) für wahrscheinlicher, der an der Intelligenz maßgeblich mitwirkt - und zwar in vielen verschiedenen Bereichen. Diesen Faktor kann man mit Hilfe von Intelligenztests messen und quantifizieren.
Der IQ ist ein faszinierender - und wissenschaftlich reichlich erforschter - Aspekt von Intelligenz, aber er sollte keineswegs mit ihr gleichgesetzt werden.
Abbildung 8 : Normalverteilung der IQ-Werte
Aufgetragen ist die Verteilung des IQ-Wertes nach Standard-Intelligenztests über die Bevölkerung. Diese Art der glockenförmigen Verteilung bezeichnet man als Gauss-Kurve. A) Standardabweichung, B) getesteter IQ-Wert, C) prozentualer Anteil der Bevölkerung. Hieraus ergibt sich, dass jemand, der ein IQ-Testergebnis erreicht, das zwei Standardabweichungen (s) besser ist als der Mittelwert, einen IQ von 130 hat. Das bedeutet: In der Bevölkerung weisen 97,7% einen IQ-Wert von unter 130 auf.
Multiple Intelligenz
In seinem berühmten Buch Frames of Mind beschrieb der Harvard-Psychologe Howard Gardner 1983 erstmals seine Theorie der multiplen Intelligenz (MI-Theorie). Derzufolge gibt es keine »singuläre« Intelligenz, sondern verschiedene Befähigungen für verschiedene Tätigkeiten. Gardner unterschied ursprünglich sieben voneinander abgrenzbare Intelligenzen:
› sprachliche Intelligenz
› logisch-mathematische Intelligenz
› räumliche Intelligenz
› musikalische Intelligenz
› körperlich-kinästhetische (Bewegungs-)Intelligenz
› intrapersonale Intelligenz: verschiedene Gefühle zu unterscheiden und diese zum Verständnis des eigenen Verhaltens zu nutzen
› interpersonale Intelligenz: Unterschiede in den Stimmungen, dem Wesen und den Absichten anderer Individuen zu erkennen. In den letzten Jahren hat Gardner diese noch um die Intelligenz für die Natur (exemplarisch wäre hier Charles Darwin zu nennen) und die Existenzintelligenz (Fähigkeit, Grundfragen nach dem Ursprung des menschlichen Daseins zu stellen) ergänzt.
Eine eigenständige Intelligenz definiert Gardner als »ein psychobiologisches Potenzial zur Lösung von Problemen oder zur Gestaltung von Produkten, die in zumindest einem kulturellen Kontext wertgeschätzt werden«.
Damit eine Intelligenz als autonom angesehen werden kann, müssen laut Gardner möglichst viele der folgenden Merkmale erfüllt sein: Die spezifische Intelligenz sollte durch
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