Wie Kinder heute lernen
ausbildet und mit dem sich Argumente stichhaltiger formulieren lassen.
Sprechen, Lesen, Schreiben, so zeigt eine Vielzahl von Studien übereinstimmend, sind die Schlüsselkompetenzen - nicht nur für den Erfolg in der Schule, sondern auch im Beruf. Wie aber entwickeln sich Sprache und damit das Denken vom ersten Wort bis zum ersten Aufsatz in der Schule? Welche sind die wichtigsten Schritte dabei? Wo sollte man versuchen einzugreifen, wo es den Kindern selbst überlassen, das Tempo zu bestimmen? Wie steht es mit dem Erwerb einer zweiten Sprache? Gibt es Phasen, in denen Alles-oder-nichts-Entscheidungen für die Kindesentwicklung gefällt werden?
Die Sprachexplosion
Nicht alle Menschen lernen alles gleich gut oder gleich schnell oder zum gleichen Zeitpunkt. Und auch während der Kindheit lernen Kinder bestimmte Fertigkeiten in definierten Zeitfenstern besser als in anderen. Es sind Phasen, die dafür reserviert sind, dass die Kinder Fähigkeiten, wie motorisches Geschick, dreidimensionales Sehen oder Sprache, besonders gut erlernen können. Diese in der Tat »kritischen« Phasen sollte man nicht verpassen, im Gegenteil, man sollte sie nutzen, um diese Anlagen optimal zu fördern. Sie verlaufen allerdings bei jedem Kind individuell und zu einem anderen Zeitpunkt, sodass normalerweise kein Anlass zur Sorge besteht, wenn das Nachbarkind den einen oder anderen Monat früher oder später zu laufen oder zu sprechen lernt - und selbst Entwicklungsunterschiede von sechs Monaten müssen noch nicht besorgniserregend sein.
Fest steht aber: Kinder haben beim Erlernen ihrer Muttersprache eine Herkulesaufgabe vor sich. Sie müssen lernen, die
dahinrasenden Laute einer normalen Unterhaltung - rund 15 bis 20 pro Sekunde - als Wörter und dann als Sätze zu verstehen. Sie müssen auch den symbolischen Charakter von Sprache erkennen, den Plural bilden und unregelmäßige Verben beugen können. Letztlich müssen sie die kompletten Grammatikregeln einer Sprache begreifen, ohne dass diese Regeln je explizit ausgesprochen wurden.
Am Ende des zweiten Lebensjahres beherrschen die meisten Kinder etwa 50 bis 200 Wörter, als 16-Jährige verstehen sie oft 60 000 Wörter oder mehr. Von Geburt an hat ein Mensch damit mehr als zehn Wörter am Tag gelernt, bis zu 20 Laute formte er pro Sekunde und wählte dabei aus Zehntausenden von Wörtern die sinnstiftenden richtigen aus. Über 200 Muskeln - fünf Muskeln im Kehlkopf, 200 in Hals und Brustkorb - werden dabei auf die Millisekunde genau angesteuert. All das lernen Kinder in wenigen Jahren, ohne Vokabelkasten und ohne über den Erwerb der Sprache nachdenken zu müssen! Bis zum Beginn des Erwachsenenalters haben Kinder damit alles in allem etwa 40 bis 50 Millionen Wörter gesprochen.
Ein Kind beginnt dann mit der Sprachproduktion, wenn sich die entsprechenden neuronalen Strukturen im Gehirn entwickelt haben. Dabei fördern sich das Sprechen sowie das Hören der eigenen Sprachlaute und die Entwicklung des Gehirns in den Spracharealen gegenseitig durch eine positive Verstärkungsschleife. Ein Kind erlernt Sprache sowohl durch eigenes Sprechen als auch durch Zuhören.
Zu Beginn des Spracherwerbs hat das Gehirn übrigens die höchste Synapsendichte, die es je erreichen wird. Die dann folgenden Umbaumaßnahmen sind gigantisch. Während das gesprochene Wort, das ein Kind im Alter von 13 Monaten hört, noch Nervenzellen in beiden Gehirnhemisphären aktiviert, hat sich die Sprache durch die Interaktion von genetisch bedingter Gehirnreifung und individueller Erfahrung gegen Ende des zweiten Lebensjahres bereits auf eine Großhirnhemisphäre spezialisiert.
Bei den meisten Menschen wird sie vor allem von der linken Großhirnhälfte übernommen. Diese Spezialisierung findet nicht statt, wenn der Sprachinput fehlt. Es ist also vor allem die individuelle Erfahrung und Übung, die die Reifung des Gehirns entscheidend beeinflusst. Diese Sprachexplosion, die zwischen dem ersten und dritten Lebensjahr ihren Höhepunkt hat, fördert in wenigen Monaten die intellektuelle Entwicklung des Kindes mehr als jeder andere Stimulus.
Wir sprechen links
Nicht nur, dass ein Kleinkind aus unseren grammatikalisch oft nicht richtig zusammengebauten Sätzen einen Sinn herstellen muss, es muss auch noch die einzelnen Wörter herauskristallisieren. Dies ist, selbst wenn Eltern die Kleinkindsprache benutzen, keine ganz einfache Leistung für das Kind, da es die Hörinformation nur etwa halb so schnell verarbeiten kann wie ein
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