Wie Kinder heute lernen
Erwachsener. Das macht es Kleinkindern besonders schwer, sprachliche Laute von Hintergrundgeräuschen zu unterscheiden, zumal sie nur einen eingeschränkten Hörbereich haben. Umso erstaunlicher ist, dass Kleinkinder schon bei der Geburt ihre Muttersprache von Fremdsprachen unterscheiden können.
Spracherwerb ist ein angeborener Instinkt wie Schlafen und Essen. Der amerikanische Linguist Noam Chomsky konnte zeigen, dass es so etwas wie eine Universalgrammatik gibt, d. h., alle von Menschen gesprochenen Sprachen (es sind weltweit etwa 6000, allerdings mit sinkender Tendenz, da viele Sprachen aussterben) sind sich in ihren grammatikalischen Regeln sehr ähnlich, was den Schluss nahelegt, dass diese Regeln angeboren sind. Dafür spricht auch, dass bei 90 Prozent aller Menschen das Sprachzentrum in der linken Hirnhälfte lokalisiert ist - selbst bei den meisten Linkshändern. Dennoch wird unser Sprechen nicht ausschließlich von der linken Seite des Gehirns gesteuert. Sprache ist in weiten Teilen des Gehirns lokalisiert, und für einige Aspekte,
vor allem den emotionalen Gehalt von Sprache, die Modulation und den Sprachrhythmus, spielt auch die rechte Hemisphäre eine wichtige Rolle. Wenn wir sprechen, sind viele Gehirnareale daran beteiligt. Einige davon sind aber absolut essenziell für die Sprachproduktion und Sprachverarbeitung:
› Das Broca-Areal im Stirnlappen ist vor allem für die motorische Sprachproduktion (Bewegung von Zunge, Gesicht, Kiefer und Kehlkopf) wichtig, es nimmt aber auch eine schnelle grammatikalische Vorverarbeitung der Muttersprache vor. Das Broca-Areal wird aktiv, wenn beispielsweise zwei Sätze miteinander verglichen werden sollen, die sich in der Wortfolge unterscheiden, oder wenn die Bedeutung und Korrektheit von Wortfolgen erkannt werden muss. Es fragt einen Satz gewissermaßen danach ab: Wer tut was mit wem?
› Das Wernicke-Areal an der Grenze von Scheitel- und Schläfenlappen sorgt für die Sprachwahrnehmung. Es hilft uns, Wort- und Satzbedeutungen zu begreifen, und ist aktiv, wenn es um das Verständnis einzelner Wörter geht. Es ist quasi unser geistiges Wörterbuch. Weiter gilt, dass Substantive im Schläfen-Scheitellappen verarbeitet werden, Verben hingegen im Stirnlappen.
Obwohl Broca- und Wernicke-Areal durch einen dicken Nervenfaserstrang miteinander verbunden sind (den Fasciculus arcuatus , siehe Abb. 12 ), existiert eine neuronale Trennung zwischen Bedeutung (Semantik) und Satzbau (Grammatik). Dies ist insofern bedeutsam für die Sprachentwicklung bei Kindern, die zunächst nur in der Lage sind, einzelne Wörter zu benutzen und zu verstehen, als der Scheitel- und auch Schläfenlappen früher reifen als der Stirnlappen, in dem sich das Broca-Zentrum befindet. Erst mit dem Ende des dritten Lebensjahres bringen Kinder komplette, grammatikalisch richtige Satzkonstruktionen hervor, genau dann, wenn das Broca-Zentrum »online« geht. Untersuchungen haben hier ergeben, dass die Anzahl der Synapsen im Wernicke-Areal ihren Höchststand zwischen dem 8. bis 20. Monat erreicht. Im
Broca-Zentrum hingegen ist die größte Synapsendichte erst zwischen dem 15. bis 24. Monat feststellbar. Entsprechend finden auch die Myelinisierung und die korrekte Zellschichtung dort erst später statt, sie erfolgen ab dem vierten Lebensjahr. Dieser Ablauf der Hirnreifung - Wernicke-Areal vor dem Broca-Areal - legt den Spracherwerb fest. Die Kinder sprechen zunächst einzelne Worte, aus diesen werden Zweiwortsätze, bevor komplexere, grammatikalisch richtige Sätze formuliert werden können. Diese Entwicklung ist kulturunabhängig und geschieht überall auf der Erde zwischen dem ersten und vierten Lebensjahr.
Abbildung 12 : Sprachverarbeitung im Gehirn
Zu den wichtigen Regionen der Sprachverarbeitung in der linken Hirnhemisphäre zählen insbesondere das Wernicke-Zentrum, welches zusammen mit umliegenden Regionen aus Schläfen- und Scheitellappen die Wortbedeutung erkennt, und das Broca-Zentrum, welches die Sprachmotorik steuert und eine schnelle grammatikalische Analyse vornimmt. Der Fasciculus arcuatus verbindet die beiden Areale.
Das Gehirn ist dabei von Anfang an auf Sprache eingestellt. So ist das Planum temporale , ein breites Dreieck zwischen Schläfen- und Scheitellappen, welches auch das Wernicke-Areal mit einschließt, schon ab dem sechsten Schwangerschaftsmonat linkshemisphärisch größer als rechts. Noch vor der Geburt ist die linke Seite des Gehirns also auf Sprache vorbereitet. Da die
Weitere Kostenlose Bücher