Wie Krähen im Nebel
keuchte er. «Ich komme mit Nachrichten von Flavio!»
«Mach das Licht an, Anita!», wimmerte Clara. «Mach schon!»
Flackernd sprang die Neonröhre über der Spüle an, kaltes Licht ergoss sich in den Raum, beleuchtete die angstvollen Gesichter der beiden Frauen. Anita stand mit dem Rücken an der Wand, Clara duckte sich vor Guerrini, der erst jetzt ihren Arm losließ.
«Seid ihr in Ordnung?», fragte Guerrini, während er seine Schulter massierte.
«Was wollen Sie? Wo ist Flavio? Will er uns hier verrotten lassen?» Clara rieb ebenfalls ihren Arm.
Guerrini drehte sich nach seiner Begleiterin um.
«Kommen Sie rein, Signora, und machen Sie die Tür hinter sich zu!»
Sie kam, den Schal eng um ihre Schultern gelegt, machte sich ganz schmal und setzte die Füße so sorgfältig auf, als durchquere sie auf Zehenspitzen einen Müllplatz. Alles an ihr drückte Abwehr aus.
«So!», sagte Guerrini. «Wir setzen uns jetzt alle vier um diesen Tisch und reden miteinander!»
Clara war die Erste, die seiner Aufforderung folgte, dannkauerte sich Anita auf die Kante eines Klappstuhls, und zuletzt folgte Flavios Freundin.
«Wer ist die Frau?», fragte Clara und wies mit dem Kinn auf sie. Clara war diesmal nicht so gepflegt wie bei ihrer ersten Begegnung. Ihr ungeschminktes Gesicht wirkte grau und eingefallen.
«Das ist Flavios Frau!», entgegnete Guerrini, trat leicht auf ihren Fuß, um Protest zu vermeiden. «Allerdings hat sie mir ihren Namen noch nicht verraten.»
«Donatella!», sagte sie. «Nennen Sie mich Donatella!»
Clara zog die Augenbrauen hoch und musterte die junge Frau von oben bis unten.
«Ah, so!», murmelte sie. «Das hat der Kleine natürlich verschwiegen. Kein Wort gesagt hat er, dass verheiratet mit süßer Frau. Ist wie alle Männer, der kleine Flavio. Etwas stimmt nicht! Wir wissen! Was passiert mit Flavio? Wir totale Angst! Haben angerufen sein Handy – jemand abgenommen und nichts gesagt. Nur atmen gehört! Dann wieder versucht … und fremde Stimme gesagt, dass Flavio krank. Wir sollen sagen, wo wohnen, dann kommt und bringt Essen. Aber wir nicht gesagt, wo wohnen …»
«Gott sei Dank!» Guerrini nickte Clara zu. «So etwas Ähnliches habe ich mir schon gedacht, weil ich kein Handy bei ihm gefunden habe. Den Schlüsselbund muss der Täter übersehen haben. Hat der Unbekannte bei euch angerufen? Immerhin muss er eure Nummer haben, wenn ihr ihn angerufen habt.»
Clara schluckte, stützte den Kopf in beide Hände.
«Jaja, hat dauernd versucht anzurufen. Aber wir nicht antworten. Nur zweimal abgenommen, dann nicht mehr! Wir Angst haben. Denken an die andern Frauen!» Sie schauderte, und Anita machte sich ganz klein auf ihrer Stuhlkante.
«Was passiert mit Flavio?», flüsterte die blonde Frau, derenHaar strähnig herabhing und die noch schmaler und blasser wirkte als vor ein paar Tagen.
Guerrini erzählte leise, was geschehen war. Die beiden Frauen hörten zu – Anita ließ sich von Clara noch ein wenig erklären, dann war es ganz still in der schmuddeligen Küche.
«Und was machen jetzt?», fragte Clara nach langer Zeit. «Wie weiter kommen? Wir wollen weg! Ganz schnell! Flavio hat Papiere! Flavio gesagt, dass er besorgt Visa für Deutschland und Schweden!»
«Und England!», wisperte Anita. «Ich heiraten in England!» Sie brach in Tränen aus.
«Heiraten?» Donatella hob den Kopf und sah Anita fragend an.
«Ja, heiraten! Ist alles ausgemacht!» Anita schluchzte leise, hielt ein schmutziges Geschirrtuch vor ihr Gesicht.
«Ach du lieber Gott!», sagte Donatella. «Das hat er mir auch nicht erzählt. Heiratsvermittlung. Es läuft doch immer wieder aufs Gleiche hinaus, oder? Ist auch nichts anderes als Zuhälterei. Er hat sich etwas vorgemacht …» Sie biss auf ihre Unterlippe und wandte das Gesicht ab.
«Entweder das – was ich zu seinen Gunsten annehmen möchte – oder er war ein Menschenhändler der besseren Sorte, ein guter Mensch, der sich den Umständen anpassen muss, um etwas zu erreichen …»
«Ach, hören Sie doch auf! Sie müssen ihn nicht in Schutz nehmen …»
Ehe Guerrini antworten konnte, hatte Clara sich halb erhoben.
«Warte Mädchen!», stieß sie hervor. «Dir geht’s gut, was? Schöne Kleider, ein Mann, Italia. Ich dir sagen was anderes. Uns Frauen egal wie rauskommen – bloß rauskommen. So ist das! Heiraten in England besser als billiges Puff in Bosnien.So ist Leben! Du nichts wissen, Mädchen. Flavio auch nichts wissen, aber helfen! So ist
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