Wie Krähen im Nebel
deutschen Kommissarin gesprochen?»
«Nein, bestimmt nicht. Es war ihm so wichtig, dass diese Morde aufgeklärt werden. Und ich bin ganz sicher, dass er versucht hat, den Verbindungsmann zu treffen, der den Zugtransfer organisiert … obwohl solche Treffen nicht vorgesehen sind. Manchmal kamen die mir alle wie große Kinder vor, die Mafia spielen. Mafia der Guten, natürlich!» Sie lachte bitter auf. «Setzen Sie sich doch, Commissario. Ich mache uns noch einen Kaffee.»
«Nein, danke! Keinen Kaffee – ich kann sonst nicht schlafen, und morgen sollten wir alle einen klaren Kopf haben.Aber ein Glas Wasser hätte ich gern.» Er setzte sich vorsichtig auf das gelbe Sofa. Es fühlte sich weich und angenehm an.
Die junge Contessa nickte, ging in die Küche und kehrte mit einer Wasserflasche und zwei Gläsern zurück, füllte eines und reichte es Guerrini.
Langsam trank er ein paar Schlucke, lehnte sich dann zurück und ließ seinen Blick durch das edle Ambiente schweifen.
«Was mich interessieren würde, Donatella. Wer bezahlt das hier eigentlich? Eine solche Wohnung, beinahe im Zentrum von Florenz, ist sicher nicht billig.»
Sie senkte den Kopf, drehte das Glas in ihren Händen.
«Es ist meine Wohnung», antwortete sie leise. «Sie gehört meinem Vater, und er hat sie mir für die Dauer meines Studiums zur Verfügung gestellt.»
«Seit wann wohnt Rinaldo bei Ihnen?»
«Seit vier Monaten.»
«Wovon lebt er?»
«Er arbeitet ein paar Stunden in der Woche in einem Sozialprojekt für Arbeitslose und fährt außerdem Taxi. Er … hat nicht viel Geld, und manchmal macht es ihn wütend, wenn ich ihn in ein Restaurant einlade oder ihm etwas schenke, das er sich nicht leisten könnte.»
Guerrini stellte das Wasserglas sorgfältig neben den gelben Teppich auf den dunklen Parkettboden.
«Hatten Sie jemals den Eindruck, dass er Geld für seinen Einsatz in dieser Organisation bekommt?»
Sie zuckte die Achseln.
«Ich weiß nur, dass er die Kosten für diese schreckliche Wohnung erstattet bekommt, das hat er mal erzählt. Aber sonst glaube ich nicht, dass er Geld erhalten hat.»
«Na gut! Irgendwie beeindruckend, denn meine deutsche Kollegin und ich haben inzwischen Hinweise darauf, dassdurchaus nicht alle in dieser ‹Mafia der Guten› so selbstlos handeln. Halten Sie es für möglich, dass man Rinaldo hinters Licht geführt hat? Dass sein Idealismus ausgenutzt wurde?»
Donatella zuckte die Achseln, schloss kurz die Augen. «Ich weiß es nicht! Ich weiß überhaupt nichts mehr. In letzter Zeit sind so seltsame Dinge geschehen.»
«Welche seltsamen Dinge?»
«Rinaldo hat mir einmal erzählt, dass er einem Freund helfen müsse, ein neues Leben zu beginnen. Eines, das nichts mit dem alten zu tun habe! Er war ganz aufgeregt bei diesem Gedanken. ‹Kannst du dir vorstellen, einen anderen Namen zu bekommen, in ein anderes Land zu gehen und alles zu vergessen, was du in der Vergangenheit gemacht hast? Es ist wie ein zweites Leben, nicht wahr?› Ich habe ihm damals gesagt, dass ich diese Vorstellung ganz schrecklich finde, dass Identität nur wachsen könne … aus der Familie, der Vergangenheit, den Erinnerungen.»
«Und was hat er gesagt?»
Sie zuckte die Achseln. «Er hat gelacht! Großbürgerliches Denken sei das, hat er gesagt! Alle die Frauen zum Beispiel, denen er zur Flucht verhelfe, würden so ein neues Leben ihrem alten tausendmal vorziehen.»
«Jaja, kann schon sein», murmelte Guerrini. «Die wechseln aber auch nur ihren Namen und schicken Geld in ihre Vergangenheit zurück, weil sie ihre Identität und ihre Familien eben nicht aufgeben! Haben Sie eine Ahnung, wen Rinaldo gemeint haben könnte?»
«Nein!» Sie presste die Lippen zusammen und rollte eine Locke ihres langen Haars mit dem Finger auf.
«Sicher nicht?»
«Nein!» Ihre Stimme war sehr klar und laut.
Vielleicht hat sie doch eine Ahnung, dachte Guerrini. Aber er war zu müde, um zu beharren. Sie lief ihm ja nichtdavon, und vor dem Krankenzimmer des jungen Unbekannten in München saß ein Polizist – jedenfalls hatte Laura das gesagt. Und Rinaldo-Flavio würde vermutlich bald aus seinem künstlichen Koma aufwachen.
«Kann ich auf diesem wunderbaren gelben Sofa schlafen?», fragte Guerrini.
Donatella lächelte.
«Danke, Commissario. Ich werde Ihnen eine Decke holen!»
Guerrini war gerade eingeschlafen, jedenfalls kam es ihm so vor, als ihn dieser unangenehme Ton weckte, der nicht mehr aufhören wollte. Es dauerte eine Weile, ehe
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