Wie Krähen im Nebel
Laura hin. «Du wissen, dass Notwehr!»
«Gib mir das Messer, Clara! Du willst doch frei sein. Selbst bei Notwehr kommst du erst ins Gefängnis, und dann wirst du abgeschoben. So ist das!»
«Ich nicht geben Messer! Ich nicht warten ohne Waffe!» Clara steckte das Messer in den Koffer zurück.
«Aber er hat eine Pistole, Clara. Jedenfalls hatte er bisher eine! Was willst du mit einem Messer gegen seine Pistole erreichen?»
Clara warf den Kopf zurück, und ein schlaues Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel. «Wenn was machen mit Anita, ich kommen von hinten!»
«Wenn das ein Richter hören würde, könnte man dir geplanten Mord in die Schuhe schieben!», erwiderte Laura. «Gib mir das Messer, Clara!»
Clara schüttelte energisch den Kopf.
«Kein Richter da! Du bist kein Richter, bist Frau! Und Frauen müssen halten zusammen! Denkst du, Richter findet schlimm, wenn Nutte wird gezwungen zum Sex? Richter wird lachen!»
«Hör mal, Clara, wir haben jetzt keine Zeit, solche Dinge zu diskutieren. Ich verspreche dir, dass wir auf dich und Anita aufpassen, aber gib mir bitte das Messer!»
Der Zug legte sich in eine Kurve, Clara und Laura verloren das Gleichgewicht und taumelten durchs Abteil. Blitzschnell griff Laura in die Seitentasche des Koffers, zog das Messer heraus und steckte es in ihre Lederjacke. Anita sah es, stieß einen halb erstickten Laut aus, wagte aber nicht etwas zu sagen.
«Also, ich gehe jetzt!», sagte Laura. «In fünf Minuten sind wir in Innsbruck. Von hier aus ist es nur noch eine Stunde bis zur deutschen Grenze!»
«Eine Stunde!», flüsterte Anita, und es klang so angstvoll, als hätten sie noch eine Woche vor sich. Schnell verließ Laura das Abteil, stellte sich draußen auf dem Gang ans Fenster, während die Lichter von Innsbruck auftauchten und Mitreisende sich vor den Türen sammelten. Von den Schaffnern war nichts zu sehen. Als der Eurocity langsamer wurde, gab Laura Guerrini ein Zeichen, dass er die Bewachung der beiden Frauen übernehmen solle, und schlenderte in den Speisewagen hinüber. Nur ein einziger Tisch war besetzt, und noch immer hatte der dünne kleine Kellner Dienst. Er blickte nur kurz auf, als Laura an ihm vorüberging. Sie war sicher, dass er sie nicht erkannt hatte.
In der Nähe des nächsten Ausgangs blieb sie stehen, beobachtete, wie der Zug anhielt, Reisende ausstiegen, Koffer hinauswuchteten. Dann endlich war die Tür frei für Leute, die einsteigen wollten, und Laura atmete auf, als sie die vertraute Gestalt des jungen Kommissars erkannte, der sein Aussehen ebenfalls ein wenig verändert hatte: mit einer Hornbrille, die vermutlich nur aus der Fassung bestand, und sein Schnurrbart war verschwunden. Sie nickte ihm zu und ging vor ihm her bis zum übernächsten Wagen, fand ein leeres Abteil und hielt die Tür für ihn auf.
«Warum hast du dich denn nicht gemeldet?», fragte sie, als sie die Vorhänge zuzogen.
«Genau das wollte ich dich fragen. Ich hab dauernd versucht, dich zu erreichen. Aber es gab keine Verbindung! Der gewünschte Teilnehmer ist vorübergehend nicht erreichbar …»
«Die Alpen!», erwiderte Laura. «Ich bin froh, dass du trotzdem hier bist! Wir müssen möglichst unauffällig vor dem Abteil der beiden Frauen herumhängen. Guerrini ist auch da – aber das weißt du ja. Ich möchte die Kerle – wer immer sie sind – erst nach der deutschen Grenze festnehmen.Du weißt genau warum: Sonst gibt es ein grauenvolles Bürokratieproblem, und wir sind sowieso in Teufels Küche, weil wir inoffiziell unterwegs sind! Also, falls wir vorher zugreifen müssen, ist Kreativität angesagt!»
«Du hast Nerven!», sagte Baumann langsam. «Und wie stellst du dir diese Kreativität vor?»
«Sperr den Kerl ein, schmeiß einen Mantel drüber, versteck ihn im Klo, setz dich drauf … was immer dir einfällt!»
«Schon verstanden … hast du eine Ahnung, wo wir in diesem Fall rechtlich stehen?»
«Ja! Kurz vor der Suspendierung, aber ich glaube, das Risiko lohnt sich!»
Als sich der Eurocity wieder in Bewegung setzte, begaben sie sich auf ihre Plätze. Baumann lümmelte nicht weit vom Abteil der beiden Frauen am Fenster herum, rauchte sogar. Guerrini steckte in kurzen Abständen seinen Kopf aus dem Nebenabteil, machte sich hin und wieder auf eine kurze Wanderschaft durch den Gang. Es tat sich nichts. Niemand versuchte in Claras und Anitas Abteil einzudringen. Keiner der Schaffner ließ sich blicken. Nur noch zwanzig Minuten bis Kufstein.
Laura trank
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