Wie Krähen im Nebel
verließ das Polizeipräsidium gegen sieben Uhr. Der Nebel war ein bisschen leichter geworden, wirkte im Licht der Neonreklamen und Weihnachtsgirlanden beinahe freundlich. Unschärfe hat auch etwas für sich, dachte Laura. Alles sieht hübscher und geheimnisvoller aus. Sie bummelte durch die Fußgängerzone Richtung Karlsplatz. Noch immer drängten sich unzählige Menschen auf der breiten Straße, stießen und schubsten sich zur Seite, als gelte es, vor allen anderen ein unbekanntes Ziel zu erreichen.
Laura hielt sich ganz am Rand des Menschenstroms, blieb hin und wieder vor einem Schaufenster stehen, erstand an einer Bude einen Adventskranz aus Buchsbaumzweigen und versenkte ihn tief in einer großen Plastiktasche, denn sie hatte immerhin noch ein Verhör vor sich. In der Passage unter dem Karlsplatz steckte sie einem Obdachlosen zwei Euro zu, verweigerte sich aber den anderen, die zu Dutzenden in den Ecken lagerten, weil es hier wärmer war als oben.
Als sie sich dem Bahnhof näherte, tauchten links und rechts die ersten Striptease-Bars auf, und Laura fragte sich, ob eines dieser Etablissements der Bestimmungsort der Toten im Eurocity gewesen war.
Immer wieder waren sie in den letzten Jahren mit Menschenhandel konfrontiert worden, immer wieder hatte es Morde gegeben, an Zuhältern, Frauen, hin und wieder sogar Kunden. Aber es war ihnen nie gelungen, tiefer in dieses Netz aus Brutalität und Angst, Verschleppung und Lüge einzudringen. Es war immer nur ein Kratzen an der Oberfläche gewesen. Angst machendes Kratzen, das selbst Peter Baumanndie Sprache verschlagen hatte. Irgendwann hatte er gesagt, dass ihm der Menschenhandel wie die Pest vorkomme. Eine Seuche, die den ganzen Erdball umspannte. Mit Schaudern erinnerte Laura sich an den Menschenhändler, der versucht hatte zu erklären, wie es zu diesen unfassbaren Dingen kommen konnte. Ganz selbstverständlich hatte er es erklärt, ohne Schuldgefühle, so, wie es eben war.
«Das ist ein Markt», hatte er gesagt. «Ein Markt wie jeder andere – legal oder illegal. Es gibt eine große Nachfrage nach Frauen und Kindern. Sie kennen das Gesetz des Marktes: Wo Nachfrage ist, wird sie auch bedient. Es ist ein lohnendes Geschäft und nicht einmal besonders risikoreich. Nehmen Sie zum Beispiel die Bewegungen der großen Armeen. Da leben Tausende amerikanischer, deutscher, australischer, holländischer, englischer und wer weiß was für Soldaten in Afghanistan, in Bosnien, dem Kosovo, im Irak, in allen Krisengebieten der Welt.
Es sind Männer, und was brauchen Männer, die länger von zu Hause fort sind? Muss ich mehr sagen? Da kümmert sich kaum einer um Menschenrechte, wenn es um ein bisschen Spaß geht. Die Menschenhändler folgen diesen Truppenbewegungen wie früher die Marketenderinnen. Aber es ist nicht nur das. Bedarf besteht überall. Sehen Sie sich doch die braven niederbayerischen Bürger an, die sich begeistert über die minderjährigen Huren an der tschechischen Grenze hermachen. Oder haben Sie von der kleinen portugiesischen Stadt gehört, in der es über dreihundert brasilianische Prostituierte gibt? Die Männer dieser kleinen katholischen Stadt sind es, die in das Bordell rennen. Es ist wie eine Revolution. Und wir sind die Herren dieser Revolution.»
Er hatte nichts über die Frauen gesagt – kein einziges Wort. Selbst als sie ihn danach gefragt hatten.
Laura betrachtete die Fotos halb nackter Mädchen in derAuslage einer der Bars, während ihr die Worte dieses Mistkerls durch den Kopf gingen. Sechs Jahre hatte er bekommen. Ohne Bewährung. Wegen Freiheitsberaubung und Menschenhandel. Den Mord an einer jungen Frau aus der Ukraine hatte man ihm nicht nachweisen können.
Keine der misshandelten Frauen hatte im Prozess gegen ihn ausgesagt. Deshalb war er mit sechs Jahren davongekommen. Die Angst der Frauen war übermächtig gewesen, vielleicht auch das Wissen, dass es nicht ausreichte, einen hinter Gitter zu bringen. Denn hinter dem einen stehen unzählige andere, die nur auf ihre Chance warten und jeden Verrat mit unglaublicher Brutalität bestrafen.
«Möchten Sie hereinkommen, gnädige Frau? Damen sind bei uns ebenso willkommen wie Herren. Nur Mut! Trauen Sie sich …!»
Laura sah verwirrt auf. Neben ihr stand der Werber und Rausschmeißer einer Sexkneipe, ein riesiger Typ in grauem Anzug mit Goldkordeln auf den Schultern. Weil ihr keine schlagfertige Antwort einfiel, schüttelte sie nur den Kopf und ging schnell weiter.
Plötzlich war sie ganz
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