Wie Krähen im Nebel
neunzig Euro pro Nacht kosteten. Pro Zimmer natürlich. Guerrini fand das noch immer viel zu viel, aber etwas anderes war nicht aufzutreiben.
Der Nachtzug aus München hatte natürlich Verspätung, dreizehn Minuten. Als er endlich langsam in den Bahnhof einrollte, faltete Guerrini seine Zeitung zusammen, holte tief Luft und ging zum Kopfende des Bahnsteigs. Fröstelnd schlug er den Kragen seiner Lammfelljacke hoch. Der Nebel hatte inzwischen auch Florenz erreicht und in einen kalten, milchigen Schleier gehüllt.
Guerrini war ziemlich groß, deshalb konnte er über die Köpfe der Reisenden hinwegschauen, die jetzt an ihm vorüberströmten. Als er Laura sah, war ihm, als vibrierte sein Magen, und ein paar Sekunden lang fühlte er eine ungewisse Angst.
Sie hatte ihn noch nicht entdeckt. Jetzt bückte sie sich, warf beim Wiederaufrichten das Haar zurück (war es lockiger als bei ihrer letzten Begegnung, heller, dunkler?). Suchend blickte sie sich um, entdeckte Guerrini aber nicht, weil er sich hinter eine dicke Frau duckte, obwohl er selbst nicht wusste, warum. Jetzt wandte sie ihr Gesicht einem jungen Mann zu, der neben ihr ging.
Guerrini taxierte ihn blitzschnell: um die Dreißig, dichtesdunkelblondes Haar, gut geschnittenes Gesicht – das Kinn etwas zu weich –, nicht größer als Laura, schlank. Jetzt lachte er und legte dabei den Kopf in den Nacken.
Worüber lachte er so herzlich? Wieder spürte Guerrini dieses seltsame Vibrieren in seiner Magengegend. Aber in diesem Augenblick hatte Laura ihn entdeckt, riss einen Arm hoch und drängte sich durch die Menschen auf ihn zu.
Während Guerrini noch dachte, dass er es ihr überlassen wollte, wie sie sich begrüßen würden, stand sie schon vor ihm, hatte den Deutschen irgendwo hinter sich gelassen, stand da und sah ihn an.
Und Guerrini sah sie an.
So hatten sie ein, zwei Minuten nur für sich, und nach einer Minute dachte Guerrini, dass es besser war, sich anzusehen als sich zu umarmen. Beim Umarmen konnte man den anderen nicht sehen. Umarmungen von Menschen, die lange getrennt waren, sind wie Umarmungen zwischen Fremden, die fürchten sich anzuschauen, weil sie dann erschrecken könnten. Und er dachte, dass sie sich ja wirklich fremd waren, hörte ihre Stimme nur undeutlich.
«Ciao, Angelo!», sagte sie leise.
«Ciao!», entgegnete er heiser, nahm ihre Augen wahr, den Mund, das rechte Ohrläppchen, an dem eine silberne Sonne baumelte, und den langen schwarzen Kunstpelzmantel, der vorn offen stand, und er hatte den Impuls, seine Hände unter diesen Mantel zu schieben, um ihre Wärme zu spüren.
Sie gaben sich nicht die Hand und sie küssten sich auch nicht; dann war dieser andere Deutsche da, stand hinter Laura und räusperte sich ein bisschen verlegen. Guerrini sah, wie Laura die Stirn runzelte, sich halb umwandte.
«Das ist Peter Baumann, Angelo. Kommissar Baumann. Wir arbeiten zusammen.» Ihre Stimme klang ebenfalls heiser. «Peter, das ist Commissario Guerrini.»
Guerrini schaute auf die Hand, die sich ihm entgegenstreckte, zögerte einen Augenblick und schüttelte sie endlich, murmelte ein
«buon giorno»
, wünschte gleichzeitig den anderen auf den Mond oder Mars oder an die afrikanische Küste.
«Benvenuto a Firenze!», fügte er hinzu. «Ich habe meinen Wagen draußen. Wir können gleich ins Hotel fahren.»
Vielleicht ist es gut so, dass wir uns nicht in die Arme fallen können, dass wir genau hinschauen müssen, dass Baumann unser Aufpasser ist. Jedenfalls in diesem Augenblick, dachte Laura. Aber gleichzeitig hatte sie das Gefühl, dass der alte Gottberg hinter ihr stand und den Kopf schüttelte. Wäre Baumann nicht da gewesen, sie hätte sich in Angelos Arme gestürzt, hätte ihn geküsst und die Nase unter sein Kinn gesteckt. So hatte sie nur eine Minute lang mit den Augen sein Gesicht abgetastet, die Fältchen in seinen Augenwinkeln, die gerade Nase, den Schwung seiner Lippen, den Halsansatz, der aus dem Lammfellkragen aufstieg. Und sie wusste so genau, wie er roch, dass ihr ein wenig schwindlig wurde.
Sie schüttelte den Kopf, als er sich erbot, ihren Koffer auf Rädern zu ziehen, sah ihn ab und zu verstohlen von der Seite an, während sie durch die Bahnhofshalle gingen. Zwei-, dreimal trafen sich ihre Blicke, doch er versuchte eher mit Baumann in Kontakt zu kommen, radebrechte auf Englisch und richtete kaum das Wort an sie.
Im Wagen setzte Laura sich nach hinten, lehnte sich zurück und zog ihren Mantel eng um sich. Florenz im
Weitere Kostenlose Bücher