Wie Krähen im Nebel
Vater. Ich glaube nicht, dass es eine Therapie gegen das Alter gibt. Aber ich könnte deine Hilfe brauchen.»
«Klingt verdammt nach Therapie!» Er leerte das Rotweinglas in einem Zug.
«Trink nicht so viel, sonst melde ich dich bei den Anonymen Alkoholikern an. Die machen dann Therapie mit dir!»
Er lachte laut auf. «Solche Antworten schätze ich. Das konnte deine Mutter auch gut!»
Laura lächelte ihm zu. «Jetzt essen wir zusammen Bratkartoffeln und Spiegeleier und ich erzähle dir, warum ich deine Hilfe brauche.»
Kurz darauf saßen sie unter dem großen Ölgemälde einer toskanischen Landschaft, das an der Wand neben dem Esstisch hing. Lauras Mutter hatte es vor vielen Jahren gemalt, und Laura fiel auf, dass der alte Gottberg während des Essens mit seinen Augen in der Landschaft umherspazierte, obwohl er genau zuhörte, was Laura ihm sagte. Sie erzählte von dem jungen Mann, der sein Gedächtnis verloren hatte, von den mysteriösen Umständen, unter denen er gefunden wurde, und von seinem derzeitigen Zustand.
«Er braucht jemanden, der sich um ihn kümmert, Vater! Jemand, der sich im Leben auskennt und ein gutes Urteilsvermögen hat. Ich kann das nicht tun, und die Ärzte und Pfleger … na ja, die haben auch keine Zeit. Außerdem sprichst du Italienisch, das ist in diesem Fall sehr wichtig.»
«Hm!», machte der alte Gottberg, spießte Bratkartoffeln auf seine Gabel und steckte sie genüsslich in den Mund.
«Was willst du von mir? Soll ich rauskriegen, ob er dieFrau erschossen hat?», murmelte er mit vollem Mund und löste seinen Blick endlich von den Olivenhainen und sanften Hügeln.
«Ich erwarte gar nichts von dir, Vater. Nur eines: dass du die Geduld und Aufmerksamkeit besitzt, um mit dem jungen Mann gemeinsam eine Reise ins Unbekannte zu unternehmen.»
«Hehe! Du hast aber eine poetische Art, dich auszudrücken. Bist du verliebt?»
Laura boxte spielerisch nach ihrem Vater. «Was ist, machst du mit?»
Er rieb seinen rechten Arm und verzog das Gesicht.
«Ich werd’s mir überlegen!», stöhnte er.
Laura beugte sich zu ihm und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
Eine Stunde später bereitete Laura zum zweiten Mal an diesem Abend Bratkartoffeln und Spiegeleier zu. Es war beinahe acht Uhr, Luca war gerade nach Hause gekommen, und Laura nahm sich vor, ihn ernsthaft zu fragen, wo er seine Nachmittage und Abende in letzter Zeit verbrachte.
«Mmmh! Hausmannkost!», rief er, als er kurz seinen Kopf in die Küche steckte.
«Wer hat dir denn die Haare gefärbt!», riefen Laura und Sofia gleichzeitig. Lucas dunkelblondes Haar war pechschwarz und stand steil nach oben. Sie hörten ihn irgendwo am Ende des Flurs lachen, dann klappte die Tür zu seinem Zimmer zu, und Laura sah am Blinken der Telefonanlage, dass er bereits mit jemand anderem sprach.
«Hast du eine Ahnung, ob Luca eine Freundin hat?», fragte Laura, während sie gemeinsam mit ihrer Tochter den Tisch deckte.
«Der doch nicht!», entgegnete Sofia. «Der ist doch viel zu kindisch!»
«Hör mal zu! Dein Bruder ist immerhin im Sommer sechzehn geworden. Ich finde ihn nicht besonders kindisch. Ich wundere mich nur, dass er viermal in der Woche trainiert. Er war doch bisher kein fanatischer Sportler! Außerdem habe ich noch nie gehört, dass jemand sich beim Sport die Haare gefärbt hat!»
Sofia fing an zu lachen, Laura stimmte ein, wurde aber nach kurzer Zeit wieder ernst.
«Versprich mir, dass du nicht lachst, wenn Luca zum Essen kommt!»
«Wieso denn nicht?», kicherte Sofia.
«Weil ich auch nicht lachen würde, wenn du mit lila Haaren kommen würdest. Soll ich dir mal was erzählen, Sofi? Mein Vater, dein Großvater, hat einen Lachanfall bekommen, als ich zum ersten Mal Schuhe mit hohen Absätzen trug. Das hat mich unheimlich verletzt. Hat meinem Selbstbewusstsein einen ganz schönen Knacks gegeben.»
Sofia sah ihre Mutter prüfend an.
«Bist du Großvater deshalb noch böse?» Laura schüttelte den Kopf.
«Ist doch schon so lange her, Sofi. Außerdem weiß ich heute, dass er es nur nicht ausgehalten hat, wie ich Stück für Stück erwachsen wurde. Er war unheimlich eifersüchtig, musst du wissen.»
«Ist er heute noch!» Sofia stellte eine Schüssel Tomatensalat auf den Küchentisch. «Er warnt mich dauernd vor Jungs und sagt, dass ich denen nicht trauen soll! Möchte mal wissen, was mit ihm los ist. Er ist immerhin selbst ein Mann!»
«Gut erkannt, Sofi! Aber jetzt hol Luca zum Essen, sonst verbrennen unsere
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