Wie Krähen im Nebel
Dezember hatte kaum Ähnlichkeit mit der warmen, lebendigen Stadt, die sie vor drei Monaten erlebt hatte. Es sah grau und schmutzig aus. Die Rosen an den Hauseingängen waren verschwunden.
Sie hörte zu, wie Angelo versuchte, Peter Baumann zu erklären, dass Dezember kein guter Monat sei, um die Toskana zu besuchen. An einer roten Ampel drehte er sich zu ihr um, bat sie um Übersetzungshilfe. Sie sahen sich so lange an, bis hinter ihnen lautes Hupen erklang, Baumann sich räusperte und meinte, dass es deutlich grün sei.
Obwohl die Reisezeit längst vorüber war, brodelte der Verkehr durch die schmalen Straßen wie eh und je. Sie steckten fast eine halbe Stunde in einem Stau fest, und Laura litt nahezu körperliche Schmerzen, weil sie nicht mit Angelo sprechen konnte, sondern eine Diskussion über den Fall hin- und herübersetzen musste.
Das Hotel lag nahe der Ausfallstraße Richtung Siena in einer Gegend, die an das Industrieviertel grenzte. Es war ein dreistöckiger rosaroter Kasten aus den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts mit neckisch verschnörkelten Balkonen, die Laura an Vogelkäfige erinnerten. Noch ehe sie es betreten hatte, wusste sie, was sie erwartete: Böden aus kalten Marmorfliesen, schlechte Heizung und zu dünne Bettdecken. Immerhin würde es um diese Jahreszeit keine Mücken geben.
Guerrini öffnete die Wagentür für Laura, und beim Aussteigen stieß sie leicht gegen ihn, erschrak über die heftige Reaktion ihres Körpers auf diese eher zufällige Berührung. Das jedenfalls hatte sich nicht verändert in den vergangenen Monaten. Sie warf einen Blick auf Baumann, der völlig versunken in den Anblick des seltsamen Hotels schien und ihnen den Rücken zuwandte. Blitzschnell stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küsste Guerrini auf die Schläfe, denn er drehte gerade den Kopf, und sie konnte seinen Mund nicht erreichen.
Welch lächerliches Theater, dachte sie. Das müssen wir ganz schnell ändern. Andererseits hatte es auch einen gewissen Reiz …
Die Zimmer waren genau, wie Laura sie sich vorgestellt hatte, aber die Heizung erwies sich als höchst leistungsfähig. Die Heizkörper glühten nahezu, und Laura verbrannte sich, als sie einen anfasste. Die Besitzerin des Hotels, eine ältere Frau mit bläulich getöntem Haar und enormen Mengen Modeschmuck um Hals und Arme, begrüßte sie außerordentlich freundlich, denn Guerrini war der Bekannte eines Bekannten eines Bekannten, und seine Freunde waren auch ihre.
Laura, Guerrini und Baumann bezogen ihre Zimmer und trafen sich eine halbe Stunde später im Foyer des Hotels, wenn man eine Sitzbank, einen Tisch und zwei Palmen ein Foyer nennen konnte. Laura fühlte sich wieder frischer, hatte die nächtliche Bahnfahrt im Liegewagen fortgeduscht. Sie beschlossen, irgendwo in Florenz zu frühstücken, dann würde Guerrini sie zu den Carabinieri im Palazzo Pitti bringen. Dort wurden sie gegen elf Uhr erwartet.
«Können wir deinen Kollegen nicht gleich abliefern?», flüsterte Guerrini in Lauras Ohr, als Baumann vor ihnen durch die Drehtür das Hotel verließ.
«Geht nicht! Ich muss erst alles erklären. Er spricht kein Italienisch!», flüsterte Laura zurück.
Guerrini blickte in gespielter Verzweiflung zum Himmel. Auf der Rückfahrt in die Innenstadt war es nicht leicht, ein Gesprächsthema zu finden. Draußen fing es leise an zu regnen, und der Nebel war dichter geworden.
«Bist du sicher, dass wir nicht aus Versehen nach London gefahren sind?», fragte Baumann und verzog unglücklich das Gesicht, als sein Scherz nicht so recht ankam.
«Es ist eine Illusion zu glauben, dass in Italien immer die Sonne scheint!», erwiderte Guerrini sehr ernst. «Italien im Winter ist kalt, feucht und unfreundlich. Man bekommt Rheuma, Arthritis, Bronchitis, Grippe, Lungenentzündung. Es ist neblig und grau … einfach unerträglich!»
«Oh!», machte Baumann und sah Laura ratlos an. Sie zuckte die Achseln.
«Ich bin sicher, dass die Räume der Carabinieri gut geheizt sind. Also mach dir keine Sorgen!»
Guerrini kannte eine kleine Bar in der Parallelstraße zu den Giardini Boboli, dort setzten sie sich in eine Ecke, tranken Cappuccino aus großen Tassen und aßen Tramezzini und Croissants. Ein paar Arbeiter drängten in den kleinen Raum, die Besatzung eines Krankenwagens kippte hastig Espressi und verschwand wieder. Langsam liefen die großen Fensterscheiben der Bar an, bis die Welt draußen nur noch schemenhaft sichtbar war. Entweder wurde es
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