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Wie Krähen im Nebel

Wie Krähen im Nebel

Titel: Wie Krähen im Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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Transfer-Frauen wirklich aus der Gewalt der Menschenhändler entkommen wollte, um ein neues Leben anzufangen. Aber ein mindestens ebenso großer Anteil benutzte das Netzwerk der Retter, um bessere Arbeitsbedingungen in reicheren europäischen Ländern zu suchen. Clara gab offen zu, dass sie auf dem Weg zu einer Freundin in Schweden sei, die in einem Luxusbordell arbeite. 500 bis 1000   Euro verdiene man da pro Stunde, wenn man eine Spitzenkraft sei. Und Clara hielt sich für eine Spitzenkraft, das stand außer Frage. Sie hatte es satt, in einer bosnischen Spelunke zu arbeiten und ihre Fähigkeiten an Bauern, Handwerker und ein paar UN O-Soldaten zu vergeuden. Nicht mal die höheren Ränge zahlten angemessen für ihre Dienste.
    «Und was ist mit Anita?»
    «Ah!», lachte Clara und tätschelte den Arm der jungen Frau. «Anita ist bisschen wie Flavio. Will nur Gutes. Sucht Mann für Liebe und Kinder!»
    «Wie lange haben Sie in Bosnien gearbeitet?», fragte Laura auf Englisch und sah dabei Anita an.
    Anita wurde rot und knetete ihre Hände.
    «Sieben Monate», flüsterte sie. «Meine Mutter weiß nichts. Sie denkt, ich Hausmädchen bei UNO.»
    «Und wie soll es jetzt weitergehen? Wollen Sie zurück nach Hause?»
    Anita schüttelte nicht nur den Kopf, sondern den ganzen Oberkörper.
    «Ich heiraten. Mann in England. Guter Mann mit guter Arbeit. Dann Haus und Kinder!»
    Laura schaute nachdenklich auf die unruhigen Hände der zarten blonden Frau. Sie hatte Kataloge gesehen, in denen Frauen angeboten wurden wie Supermarktschnäppchen. Diese Kataloge gab es in allen europäischen Ländern.
    «Ja!», murmelte sie schließlich. «Ich wünsche Ihnen viel Glück.» Sie zog das Foto der Toten aus dem Eurocity hervor. «Kennen Sie diese Frau?»
    Anita warf nur einen kurzen erschrockenen Blick auf das Foto, bedeckte dann mit beiden Händen ihr Gesicht. Clara aber nahm es, sah plötzlich sehr traurig aus.
    «Kann ich behalten?», fragte sie mit sanfter Stimme. «Möchte Kerze aufstellen und Bild und für Ana beten.»
    «Ana? War das ihr Name?»
    Clara nickte abwesend.
    «Wollte auch nach Schweden!» Dann fuhr sie plötzlich auf und schrie: «Wer hat Ana umgebracht? War alles ganz sicher! Schon vier Frauen nach Schweden gefahren! Alles ganz sicher! Warum nicht für Ana?»
    «Wir wissen es nicht, Clara. Aber wir würden es gern herausfinden. Deshalb sind wir hier, und wir sind sehr dankbar, dass Sie mit uns reden. Woher kennen Sie Ana?»
    Clara atmete tief ein.
    «Ana mit mir in Bosnien. Fast zwei Jahre. Dann zuerst weg mit Transfer. War noch hier, als wir kamen. Dann gefahren und tot!»
    «Können Sie sich vorstellen, dass Leute aus Bosnien sie umgebracht haben?»
    Clara zuckte die Achseln.
    «Drago schlimm, aber dumm. Nicht glauben, dass er uns finden kann. Andere schon. Die Rumänen und die Russen. Die viel besser!»
    «Wer hat Ana hier abgeholt?», fragte Guerrini.
    «Flavio hat weggebracht! Flavio lässt niemand hierher! Zu gefährlich, sagt Flavio!»
    «Hat Flavio Sie auch aus Bosnien abgeholt?» Guerrini schwenkte den schwarzen Kaffee in seiner Plastiktasse, ein paar Tropfen schwappten über.
    «Nein, nicht Flavio. Andere Leute. Zwei Frauen aus Kroatien. Flavio hat uns in Triest abgeholt.»
    «Hat Flavio Ihnen von der anderen ermordeten Frau erzählt?», fragte Laura.
    «Welcher Frau?» Clara fuhr heftig auf und sah Laura zum ersten Mal ganz offen an.
    «Ana ist nicht die Einzige, die ermordet wurde. Es ist noch eine andere Frau ums Leben gekommen. Ebenfalls auf der Fahrt nach Norden.»
    In diesem Augenblick steckte Flavio wieder seinen Kopf ins Zimmer, und Clara warf die halb volle Kaffeetasse in seine Richtung.
    «Warum hast du nicht erzählt von andere tote Frau!», schrie sie. «Was ist los? Sollen wir auch sterben?»
    «Madre mia!»
, stieß Flavio aus und betrachtete die braunen Kaffeespuren an der Wand neben der Tür. «Ich habe es nicht gesagt, weil ich euch keine Angst machen wollte! Ist ja nicht besonders beruhigend zu wissen, dass vor euch andere Frauen umgebracht wurden, oder?»
    «Nein, aber wichtig!», schrie Clara. «Ich will nicht in Zug sterben. Ich will nach Schweden zu Freundin und leben! Ich will reich werden und vergessen diese ganze Scheiße!»
    Flavio war blass geworden, antwortete nicht.
    Tja, dachte Laura. War wohl nichts mit «Proletarier aller Länder vereinigt euch».
    Guerrini sah auf die Uhr. Es war inzwischen nach eins.
    «Also, ich würde vorschlagen, dass diese Bahntransfers für eine Weile

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