Wie Krähen im Nebel
eingestellt werden. Falls diese beiden Damen ausreisen möchten, dann sollten Sie Ihren alten Lada auf Vordermann bringen und sie zur Grenze bringen oder gleich nach München. Außerdem würde ich vorschlagen, dass Sie keine neuen Damen aus Bosnien oder sonst woher holen, bis wir diese Verbrechen aufgeklärt haben!» Guerrini gähnte und hielt sich die Hand vor den Mund. «Mein dritter Vorschlag ist, dass Sie uns jetzt ins Hotel fahren, denn ich glaube, dass wir alle ein bisschen Schlaf brauchen.»
«Ja, natürlich», murmelte Flavio, griff nach seiner Jacke und hielt schon die Wagenschlüssel in der Hand. Er sah aus, als wollte er schnell weg von diesen Frauen, die ihn mit einer Erkenntnis konfrontiert hatten, die er nicht haben wollte.
Eine halbe Stunde später betraten Laura und Guerrini das Doppelzimmer im Hotel Bellarosa und ließen sich mit Mantel und Lederjacke nebeneinander auf das breite Bett fallen.
«Ich bin nur deshalb hier, weil ich keine Kraft mehr habe, in mein kleines Einzelzimmer zu gehen!», murmelte Laura.
«Ja, natürlich!», erwiderte Guerrini. «Möchtest du ein Glas Rotwein oder lieber Mineralwasser?»
«Mineralwasser!» Laura hob ihr rechtes Bein und versuchte ihren Stiefel auszuziehen. «Weißt du, dass jedes Jahr eine halbe Million Frauen und Kinder nach Europa gebracht werden, um im Sextourismus zu arbeiten. Ich hab recherchiert in den letzten Wochen, und es ist nicht besonders lustig. Ich meine, es kann dazu führen, dass man selbst keine Lust mehr hat …»
Guerrini reichte ihr ein Glas Mineralwasser, zog seine Lammfelljacke aus und legte sich wieder neben sie.
«Weißt du!», fuhr sie fort, trank einen Schluck und stellte das Glas auf den Nachttisch. «Weißt du, ich habe nicht nur diese aktuellen Sachen recherchiert … das alles hat einen Unterbau aus der Geschichte … einen riesigen Misthaufen, der immer höher wird. Wenn Frauen arm waren, mussten sie schon immer ihren Körper verkaufen oder sogar verschenken. Die Gerissenen unter diesen Frauen versuchten damit reich zu werden – wie Clara es offensichtlich vorhat. Die anderen gehen daran kaputt … die Kinder sowieso.»
Guerrini antwortete nicht, lag einfach da und starrte an die Zimmerdecke.
«Es macht mich wütend – und es geht mir nicht gut. Florenz ist ganz anders als sonst. Es ist plötzlich kalt und fremd – irgendwie schmutzig, anders als ich es kenne. Diese Wohnung heute Abend, diese verlotterte, vergiftete Gegend, in der Menschen leben müssen. Ich weiß, dass es all diese Dinge gibt – es ist schließlich mein Beruf, Angelo. Aber manchmal wünsche ich mir, dass es diese Dinge nicht gibt! Nicht in einer Stadt, die ich liebe, und überhaupt nirgendwo!»
Laura kickte ihren rechten Stiefel quer durchs Zimmer, hob dann das linke Bein und musterte den zweiten Stiefel wie einen Feind. Guerrini stützte den Kopf in seine Hand und sah ihr zu.
«Brauchst du meine Hilfe?», fragte er.
«Nein!», murmelte sie. «Sonst bist du ja auch nicht da! Wer solche Stiefel erfindet, sollte gezwungen werden, sie ständig an- und auszuziehen.»
Guerrini lachte leise.
«Könnte es sein, dass du von irgendetwas ablenkst?»
Lauras zweiter Stiefel flog in eine Ecke. Einen Augenblick lang lag sie ganz ruhig auf dem Rücken, dann drehte sie sich schnell zu ihm.
«Natürlich lenke ich ab. Aber es ist nicht besonders fair, dass du mich durchschaust.»
«Und was genau durchschaue ich, Laura?»
«Meine neurotischen Störungen! Ich habe Schwierigkeiten damit, das Bett eines anderen so ganz selbstverständlich zu teilen. Ich finde es nicht mal in einer Ehe normal! Es ist so … als wären durch eine spontane sexuelle Anziehung, einen Traum von Liebe oder durch eine Heiratsurkunde zwei Menschen plötzlich dazu verurteilt, miteinander zu schlafen. Nicht weil sie es möchten, sondern weil es eben so ist … wie eine Art von Prostitution!»
Guerrini ließ seinen Kopf ins Kissen zurückfallen und schloss die Augen.
«Du musst nicht hier bleiben, Laura …»
«Aber ich möchte doch! Ich fürchte mich nur davor, dass du es für selbstverständlich halten könntest! Für mich ist es nämlich nicht selbstverständlich! Ich wünsche mir, dass es so besonders und spontan bleibt, wie wir es im September erlebt haben, Angelo. Das war für mich Liebe, weißt du!»
«Ich halte es nicht für selbstverständlich, Laura. Ich habe mir seit Wochen gewünscht, dich neben mir zu spüren. Aber ich habe mich auch vor dem Augenblick
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