Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition)
Teil implizit im Konzept der Praxis selbst enthalten: dass es ein und dasselbe ist, die Welt zu begreifen und sie zu verändern. Und die Praxis, die Geschichte, die die Menschen selbst gestalten, wenn auch unter bestimmten – und sich verändernden – historischen Umständen, sind das, was sie tun, und nicht einfach die ideologischen Formen, in denen sich die Menschen der gesellschaftlichen Widersprüche bewusst werden. Es geht darum, wie die Menschen es »ausfechten«, um Marx zu zitieren. Kurz: Politik ist das, was sich als politisches Handeln bezeichnen lässt. Es ist aber zum Teil auch die Anerkennung der Tatsache, dass politisches Handeln als solches eine autonome Tätigkeit ist, auch wenn es »auf dem ›permanenten‹ und ›organischen‹ Gebiet des ökonomischen Lebens entsteht« ( Gefängnishefte , S. 1018).
Das gilt für den Aufbau des Sozialismus ebenso wie – und vielleicht stärker als – anderswo. Man könnte sogar sagen: Die Basis des Sozialismus ist für Gramsci nicht die Sozialisierung im ökonomischen Sinne – das heißt gesellschaftliches Eigentum und Planwirtschaft –, sondern Sozialisierung im politischen und soziologischen Sinne, also das, was man als Prozess der Verhaltensformung beim kollektiven Menschen bezeichnet hat, wodurch soziales Verhalten automatisiert wird und man keinen äußeren Apparat zur Durchsetzung von Normen mehr benötigt. Wenn Gramsci von der Rolle der Produktion im Sozialismus spricht, dann meint er damit nicht einfach ein Mittel, um eine Gesellschaft materiellen Reichtums zu schaffen (wenngleich er nebenbei bemerkt keinerlei Zweifel daran hatte, dass die Maximierung der Produktion Priorität besitzt). Es geht vielmehr darum, dass die Stellung des Menschen in der Produktion von zentraler Bedeutung für sein Bewusstsein im Kapitalismus ist; dass die Erfahrung der Arbeiter in der großen Fabrik die natürliche Schule dieses Bewusstseins ist. Gramsci betrachtete die große moderne Fabrik – möglicherweise im Lichte seiner Erfahrungen in Turin – tendentiell weniger als Ort der Entfremdung, sondern als Schule des Sozialismus.
Der entscheidende Punkt dabei war, dass sich die Produktion im Sozialismus aus diesem Grund nicht so einfach als eigenes technisches und ökonomisches Problem behandeln ließ; es musste gleichzeitig – und von Gramscis Standpunkt aus in erster Linie – als Problem politischer Bildung und politischer Struktur betrachtet werden. Selbst in der bürgerlichen Gesellschaft, die in dieser Hinsicht fortschrittlich war, galt die Arbeit als zentraler Aspekt der Bildung, denn der »Begriff des Gleichgewichts zwischen Gesellschaftsordnung und Naturordnung auf der Grundlage der Arbeit, der praktisch-theoretischen Tätigkeit des Menschen, schafft die ersten Elemente eines von aller Magie und Zauberei befreiten intuitiven Weltverständnisses und gibt den Anlass für die Weiterentwicklung einer historischen, dialektischen Weltauffassung, um die Bewegung und das Werden zu begreifen, […] das Gegenwärtige als Synthese des Vergangenen, aller vergangenen Generationen zu begreifen, das sich in die Zukunft hinein entwirft. Das ist das Fundament der Grundschule […].« ( Gefängnishefte , S. 1522) Nebenbei bemerkt finden wir hier eines der ständigen Themen bei Gramsci: die Zukunft.
Die zentralen Themen von Gramscis politischer Theorie werden in seinem berühmten Brief an Tatjana Schucht vom 7. September 1931 skizziert: »Die Studie, die ich über die Intellektuellen angefertigt habe, ist sehr breit angelegt. […] Zudem fasse ich den Begriff ›Intellektuelle‹ sehr weit und halte mich nicht an den gängigen Begriff, der sich nur auf die großen Intellektuellen bezieht. Diese Studie hat auch ihre Auswirkungen auf gewisse Bestimmungen des Staatsbegriffs, der normalerweise als politische Gesellschaft (oder Diktatur bzw. Zwangsapparat zur Ausrichtung des Volkes auf den jeweiligen Typ der Produktion und Wirtschaft) verstanden wird und nicht als ein Gleichgewicht zwischen politischer und bürgerlicher Gesellschaft (oder als Hegemonie einer sozialen Gruppe über die gesamte Nation vermittels der sog. privaten Institutionen wie Kirche, Gewerkschaften, Schulen usw.). Und besonders in der bürgerlichen Gesellschaft üben die Intellektuellen ihre Funktion aus […].« 2
Nun ist die Vorstellung vom Staat als Gleichgewicht von Zwang ausübenden und hegemonialen Institutionen (oder als Einheit von beiden, wenn einem das lieber ist) als solche nicht neu, zumindest nicht
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