Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition)
muss wie währenddessen und danach. Dieser Kampf ist jedoch nicht nur ein Aspekt des »Stellungskriegs«, sondern unter allen Umständen ein zentraler Bestandteil der Strategie der Revolutionäre. Naturgemäß ist das Erringen der Hegemonie, sofern möglich, vor dem Machttransfer besonders wichtig in den Ländern, wo die Macht der herrschenden Klasse im Kern auf der Subalternität der Massen und weniger auf Zwang gründet. Das gilt für die meisten »westlichen« Länder, was auch immer die Ultra-Linke sagt und wie unbestritten die Tatsache ist, dass letztlich Zwangsmittel dazu da sind, eingesetzt zu werden. Wie sich am Beispiel von Chile und Uruguay zeigt, lässt sich der Einsatz von Zwang zur Herrschaftssicherung ab einem bestimmten Punkt nicht mehr mit dem Einsatz von offenkundigem oder echtem Konsens vereinbaren, und die Herrschenden müssen zwischen den Alternativen Hegemonie oder Gewalt, Samthandschuh oder eiserne Faust wählen. Wo sie sich für die Gewalt entscheiden, resultierte daraus für die Bewegung der Arbeiterklasse gewöhnlich nichts Gutes.
Doch selbst in Ländern, in denen es zum revolutionären Sturz der alten Herrscher gekommen ist wie etwa in Portugal, zeigt sich, dass auch Revolutionen im Sande verlaufen können, wenn es an hegemonialer Macht fehlt. Sie benötigen noch immer ausreichend Unterstützung und Zustimmung von Schichten, die sich noch nicht vom alten Regime gelöst haben. Strategisch betrachtet, besteht das Grundproblem der Hegemonie nicht darin, wie Revolutionäre an die Macht kommen (auch wenn diese Frage natürlich von einiger Bedeutung ist). Es geht vielmehr darum, wie sie Akzeptanz finden, nicht nur als die politisch aktuellen oder unvermeidlichen Herrscher, sondern als Lenker und Führer. Das berührt offenkundig zwei Aspekte: wie man Zustimmung erlangt und ob die Revolutionäre bereit sind, Führung auszuüben. Auch die konkrete politische Situation, national wie international, kann ihre Bemühungen unterstützen oder erschweren. So wurden die polnischen Kommunisten 1945 vermutlich nicht als hegemoniale Kraft akzeptiert, obwohl sie bereit waren, als solche zu fungieren; aber dank der internationalen Lage konnten sie ihre Macht festigen. Die deutschen Sozialdemokraten hingegen wären 1918 wohl als Hegemonialkraft akzeptiert worden, wollten aber nicht als solche agieren. Darin liegt die Tragik der deutschen Revolution. Die tschechischen Kommunisten dürften 1945 wie 1968 als hegemoniale Kraft Akzeptanz gefunden haben und waren auch bereit, diese Rolle zu spielen, durften das aber nicht. Der Kampf um Hegemonie vor, während und nach dem Übergang (ganz gleich, wie und in welchem Tempo er erfolgt) bleibt von entscheidender Bedeutung.
Zum Dritten bildet den Kern von Gramscis Strategie eine dauerhaft organisierte Klassenbewegung. In dieser Hinsicht kehrt seine Vorstellung von der »Partei« zur Konzeption von Marx zurück, zumindest zu der des späten Marx, der sie sozusagen als organisierte Klasse betrachtete, auch wenn Gramsci sich weniger auf die formale Organisation konzentriert, sondern seine Aufmerksamkeit stärker als Marx und Engels und sogar Lenin auf die Formen politischer Führung und Struktur richtet sowie auf den Charakter dessen, was er als die »organische« Beziehung zwischen Klasse und Partei bezeichnet. Zur Zeit der Oktoberrevolution waren die meisten Massenparteien der Arbeiterklasse sozialdemokratisch. Die meisten Revolutionstheoretiker, darunter auch die Bolschewisten vor 1917, durften nur in den Kategorien von Kaderparteien und Aktivistengruppen denken, welche die spontane Unzufriedenheit der Massen mobilisierten, wie und wann sie konnten, denn Massenbewegungen waren entweder nicht erlaubt oder üblicherweise reformistisch. Sie konnten noch nicht in Kategorien dauerhafter und verwurzelter, gleichzeitig aber revolutionärer Massenbewegungen der Arbeiterklasse denken, die auf der politischen Bühne ihrer Länder eine wichtige Rolle spielten. Die Turiner Bewegung, in der Gramsci seine Vorstellungen entwickelte, war eine der seltenen Ausnahmen. Und eine der großen Leistungen der Kommunistischen Internationale besteht zwar darin, einige kommunistische Massenparteien geschaffen zu haben, doch deutet – etwa im Sektierertum der sogenannten Dritten Periode – einiges darauf hin, dass die internationale kommunistische Führung (im Unterschied zu Kommunisten in einigen Ländern mit einer Arbeitermassenbewegung) nicht vertraut war mit den Problemen von Massenbewegungen,
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