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Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition)

Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition)

Titel: Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Hobsbawm
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Passagen, aber für mich ist nicht wirklich ersichtlich, dass die Beobachtung für Gramscis politische Theorie so wichtig ist, wie er das offensichtlich glaubte. Insbesondere bin ich der Ansicht, dass schon seine Unterscheidung zwischen den sogenannten »traditionellen« Intellektuellen und den »organischen« Intellektuellen, die von einer neuen Klasse hervorgebracht wurden, zumindest in einigen Ländern weniger bedeutsam ist, als er meint. Es kann natürlich sein, dass ich seine schwierigen und komplexen Gedankengänge in diesem Punkt nicht ganz verstanden habe, und ich sollte sicherlich betonen, dass die Frage für Gramsci selbst von großer Bedeutung ist, wenn man danach geht, wie viel Raum er ihr widmet.
    Andererseits steckt Gramscis strategisches Denken nicht nur – wie stets – voller brillanter historischer Erkenntnisse, sondern ist auch von enormer praktischer Bedeutung. In diesem Zusammenhang sollten wir allerdings drei Dinge eher getrennt halten: Gramscis allgemeine Analyse, seine Ansichten über die kommunistische Strategie in bestimmten historischen Phasen und schließlich die tatsächlichen Vorstellungen der italienischen KP über ihre Strategie zu bestimmten Zeiten, die mit Sicherheit von Togliattis Lektüre (und der seiner Nachfolger) der Gramsci’schen Theorie beeinflusst wurden. Auf den letztgenannten Punkt will ich hier nicht weiter eingehen, denn für die Zwecke dieses Kapitels sind solche Diskussionen irrelevant. Auch den zweiten Punkt möchte ich nicht ausführlich behandeln, denn unser Urteil über Gramsci hängt nicht davon ab, wie er bestimmte Situationen in den 1920er und 1930er Jahren eingeschätzt hat. So kann man ohne weiteres den Achtzehnten Brumaire von Karl Marx für ein profundes und grundlegendes Werk halten, auch wenn Marx’ eigene Haltung gegenüber Napoleon III. in den Jahren 1852 bis 1870 und seine Einschätzung der politischen Stabilität von dessen Regime oftmals unrealistisch waren. Das impliziert jedoch keine Kritik an Gramscis eigener oder Togliattis Strategie. Beide sind vertretbar. Ich will an dieser Stelle stattdessen drei Elemente von Gramscis strategischer Theorie herausgreifen.
    Da ist zum Ersten nicht die Tatsache, dass Gramsci sich für eine hinauszögernde Kriegführung oder einen Stellungskrieg im Westen ausgesprochen hat, und zwar im Gegensatz zum »Frontalangriff« oder Bewegungskrieg, wie er das nannte, sondern die Frage, wie er diese Optionen analysierte. Unter der Annahme, dass es in Italien und im Großteil des Westens ab den frühen 1920er Jahren zu keiner Oktoberrevolution kommen würde – und es gab keine realistische Perspektive für eine solche Entwicklung –, musste er sich offenbar eine Strategie des langen Atems überlegen. Tatsächlich aber legte er sich nicht prinzipiell auf einen bestimmten Ausgang des langwierigen »Stellungskriegs« fest, den er prophezeite und empfahl. Er konnte unmittelbar in einen Übergang zum Sozialismus münden oder in eine weitere Phase des Angriffs- und Bewegungskriegs oder in irgendeine andere strategische Phase. Was passieren würde, musste von den Veränderungen in der konkreten Situation abhängen. Gramsci zog jedoch eine Möglichkeit in Betracht, die kaum ein anderer Marxist ähnlich klar ins Auge gefasst hat, nämlich dass das Scheitern der Revolution im Westen zu einer viel gefährlicheren langfristigen Schwächung der Kräfte des Fortschritts führen könnte, und zwar durch das, was er als »passive Revolution« bezeichnete. Einerseits würde die herrschende Klasse möglicherweise bestimmten Forderungen nachgeben, um einer Revolution vorzubeugen und sie zu verhindern, andererseits akzeptierte die revolutionäre Bewegung vielleicht in der Praxis (wenn auch nicht zwangsläufig in der Theorie) ihre Ohnmacht, zerfiel und wurde politisch ins System integriert. Kurz: Der »Stellungskrieg« musste systematisch als Kampfstrategie konzipiert werden und nicht nur als etwas, was Revolutionäre tun konnten, wenn keine Aussicht bestand, Barrikaden zu errichten. Gramsci hatte natürlich aus der Erfahrung der Sozialdemokratie vor 1914 gelernt, dass der Marxismus kein historischer Determinismus war. Es genügte nicht, einfach nur darauf zu warten, bis die Geschichte die Arbeiter automatisch an die Macht brachte.
    Das zweite Element ist Gramscis Beharren darauf, dass der Kampf darum, aus der Arbeiterklasse eine potentiell herrschende Klasse zu machen, also der Kampf um Hegemonie vor dem Machtwechsel ebenso geführt werden

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