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Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition)

Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition)

Titel: Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Hobsbawm
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bezeichnet, und diese erfolgt allein über eine solche Bewegung. Denn nur auf diesem Wege kann sich eine bis dato subalterne Klasse in eine potentiell hegemoniale Klasse verwandeln – und, wenn man so will, zum Aufbau des Sozialismus befähigt werden. Nur auf diesem Wege kann aus ihr, über ihre Partei, tatsächlich der »moderne Fürst« werden, der politische Motor der Umwälzung. Und indem sie sich selbst aufbaut, wird sie bereits einige der Fundamente legen, auf denen die neue Gesellschaft errichtet werden wird, und einige Umrisse werden in ihr und durch sie bereits sichtbar werden.
    Abschließend möchte ich danach fragen, warum ich mich dazu entschlossen habe, mich in diesem Kapitel auf den politischen Theoretiker Gramsci zu konzentrieren. Das geschah nicht einfach deshalb, weil er ein ungewöhnlich interessanter und aufregender Denker ist. Und mit Sicherheit nicht deshalb, weil er ein Rezept dafür zu bieten hat, wie Parteien oder Staaten organisiert sein sollten. Wie Machiavelli ist er ein Theoretiker der Konstituierung und Transformation von Gesellschaften, nicht der konstitutionellen Details und schon gar nicht der Trivialitäten, mit denen sich diejenigen befassen, die für eine ganz bestimmte Lobby schreiben. Es hat vielmehr damit zu tun, dass er unter den marxistischen Theoretikern derjenige ist, der am klarsten die Bedeutung der Politik als spezielle Dimension von Gesellschaft erkannt und gezeigt hat, dass es bei Politik um mehr geht als nur Macht. Das hat enorme praktische Bedeutung, nicht zuletzt für Sozialisten.
    Die bürgerliche Gesellschaft hat zumindest in den entwickelten Ländern ihr Augenmerk stets vor allem auf den politischen Rahmen und die politischen Mechanismen gelegt, und zwar aus historischen Gründen, auf die ich hier nicht näher eingehen kann. Deshalb sind politische Arrangements zu einem wirkungsvollen Mittel geworden, um die bürgerliche Hegemonie zu verstärken, so dass Schlagworte wie die von der Verteidigung der Republik, von der Verteidigung der Demokratie oder von der Verteidigung der Bürgerrechte und Freiheiten Herrscher und Beherrschte aneinanderbinden zum einseitigen Vorteil und Nutzen der Herrschenden; das bedeutet aber nicht, dass sie für die Beherrschten irrelevant wären. Sie sind deshalb weit mehr als bloße Kosmetik auf dem Antlitz des Zwangs und auch mehr als bloße Trickserei.
    Sozialistische Gesellschaften haben sich, ebenfalls aus nachvollziehbaren historischen Gründen, auf andere Aufgaben konzentriert, insbesondere auf die Wirtschaftsplanung, während sie ihren tatsächlichen politischen und rechtlichen Institutionen und Prozessen deutlich weniger Aufmerksamkeit geschenkt haben (ausgenommen die entscheidende Machtfrage und in Vielvölkerstaaten die nach dem Verhältnis der einzelnen Nationen). Diese sollten informell funktionieren, so gut es eben ging, mitunter sogar unter Missachtung von anerkannten Verfassungsnormen oder Parteistatuten – etwa die regelmäßige Abhaltung von Parteitagen – und oftmals in einer Art Zwielicht. In Extremfällen, wie etwa in den letzten Jahren in China, entstehen wichtige politische Entscheidungen, die die Zukunft des Landes betreffen, plötzlich aus den Auseinandersetzungen einer kleinen Gruppe von Herrschenden an der Spitze, und allein schon das Wesen dieser Entscheidungen bleibt unklar, weil sie nie öffentlich diskutiert wurden. In solchen Fällen läuft eindeutig etwas falsch. Abgesehen von den anderen Nachteilen dieser Missachtung von Politik, stellt sich die Frage: Wie können wir erwarten, das menschliche Leben zu verändern, eine sozialistische Gesellschaft (im Gegensatz zu einer vergesellschafteten und gesellschaftlich verwalteten Ökonomie) zu schaffen, wenn die breite Masse der Menschen vom politischen Prozess ausgeschlossen ist und es ihr vielleicht sogar gestattet ist, in die Entpolitisierung und die Apathie gegenüber öffentlichen Angelegenheiten abzugleiten? Die Tatsache, dass die meisten sozialistischen Gesellschaften ihre politischen Strukturen vernachlässigen, hat eindeutig enorme Schwächen zur Folge, die es zu beheben gilt. Die Zukunft des Sozialismus, sowohl in sozialistischen Ländern wie auch in solchen, die es noch nicht sind, hängt möglicherweise davon ab, dass man diesen politischen Ordnungs- und Organisationsfragen mehr Beachtung schenkt.
    Indem Gramsci die entscheidende Bedeutung der Politik betonte, lenkte er das Augenmerk auf einen zentralen Aspekt beim Aufbau des Sozialismus wie bei dessen

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