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Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition)

Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition)

Titel: Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Hobsbawm
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oder dem Wandel der marxistisch-leninistischen und maoistischen Regime zuschreiben, denn er begann eindeutig schon früher. Ein wichtiger Faktor waren der allmähliche Zerfall und die »Wesensveränderung« der nicht-staatlichen kommunistischen Parteien in Europa sowie in Frankreich und Italien, wo diese Parteien die Linke dominierten, sowie insbesondere der Verlust ihrer Hegemonie über die Nachkriegsintellektuellen. Ebenso wenig sollten wir unterschätzen, dass die Altersgruppe, die von Antifaschismus, Weltkrieg und Widerstand geprägt war, allmählich von der öffentlichen Bühne abtrat, in der Politik ebenso wie in der Kultur. Die Krise sowohl der nicht-staatlichen kommunistischen Parteien in Europa als auch der sozialistischen Parteien und Regierungen war Anfang der 1980er Jahre allzu offensichtlich. Tatsächlich war schon seit einiger Zeit zu erkennen gewesen, dass Lenin in den fortgeschrittenen westlichen Ländern nicht mehr aktuell war, auch wenn die radikalisierten Studentenbewegungen das nach 1968 erst noch erkennen mussten. Weniger klar war, dass das in der Zeit nach 1973, angesichts des weltweiten Wiederauflebens der Laissez-faire-Politik in einer transnationalen Ökonomie, die sich im Eiltempo globalisierte, auch für Eduard Bernstein galt, den Verfechter eines fabianistischen schrittweisen Reformismus durch staatliches Handeln. Das wurde nur allzu augenfällig in der Zeit von Ronald Reagan und Margaret Thatcher und dann, auf dramatische Weise, nach dem Scheitern von François Mitterrands Programm 1981. Doch in den 1970er Jahren, als dieses neue Zeitalter bereits begonnen hatte, war die marxistische Präsenz in den Buchhandlungen und Seminarräumen auf ihrem Höhepunkt, und sowohl politischer als auch gewerkschaftlicher Kampfeswille feierten einige ihrer bemerkenswertesten Erfolge.
    Jenseits der Politik war der Marxismus unter Intellektuellen bereits auf dem Rückzug, auch wenn das erst in den 1980er Jahren deutlich wurde. Und nicht nur der Marxismus, sondern die gesamte Denkströmung in Sachen menschlicher Gesellschaft, die das westliche Denken seit dem Zweiten Weltkrieg bestimmt hatte und von der der Marxismus nur ein Teil war. Selbst die Naturwissenschaften gerieten ins Visier, nicht nur wegen der potentiellen oder tatsächlichen Schäden, die durch Technologie verursacht wurden, sondern auch, weil in Frage gestellt wurde, ob sie als Formen der Welterkenntnis überhaupt noch Gültigkeit für sich beanspruchen konnten.
    Am wenigsten ausgeprägt war diese Tendenz vermutlich in den Wirtschaftswissenschaften, wo Marxisten stets nur eine periphere Rolle gespielt hatten, wenngleich unter den ersten zehn Nobelpreisträgern auf diesem Gebiet drei waren, die von den frühen Jahren der Sowjetunion geprägt oder dort noch immer tätig waren (Wassily Leontief, Simon Kuznets, Leonid Kantorowitsch). Doch ab 1974, als Friedrich von Hayek den Preis bekam, wobei als »Ausgleich« immerhin noch sein ideologischer Widersacher Gunnar Myrdal zusammen mit ihm ausgezeichnet wurde, und 1976, als Milton Friedman die Auszeichnung erhielt, waren eine markante Abwendung von keynesianischen und anderen interventionistischen Theorien und eine Rückkehr zu einem zunehmend kompromisslosen Laissez-faire nicht zu übersehen. Erst Ende der 1990er Jahre tauchten die ersten Risse in diesem vorherrschenden Konsens auf.
    In den Sozial- und Geisteswissenschaften war eine gemeinsame methodische – und weniger politische oder ideologische – Ausrichtung von Marxisten und Nicht-Marxisten lange Zeit gängige Praxis gewesen, zumindest außerhalb der USA und ganz besonders in der Soziologie und in der Geschichtswissenschaft. Seit Ausgang des 19. Jahrhunderts wies die Soziologie, also der Versuch zu verstehen, wie Gesellschaften funktionieren, gemeinsame Schnittmengen sowohl mit Marx als auch mit dem allgemeineren Ziel, die Welt zu verändern und nicht nur zu interpretieren, auf. Émile Durkheim, Marx und Max Weber traten nun an die Stelle von Auguste Comte und Herbert Spencer als Gründungsväter dieser Disziplin, auch wenn Marx sie, so steht zumindest zu vermuten, nicht als spezielles und eigenständiges Forschungsfeld betrachtet hätte. Die bemerkenswerte Ausweitung höherer Bildung seit den 1960er Jahren hatte der Soziologie eine ungewöhnliche Prominenz verschafft – gegenwärtig haben 45 universitäre Einrichtungen in Großbritannien eigene Abteilungen für Soziologie oder zumindest Fachbereiche, welche die Soziologie mit einschließen

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