Wie man einen verdammt guten Roman schreibt
oder schockieren soll. Angenommen, Brock Mitchell hätte eine sexuelle Beziehung zu einem dreizehnjährigen Mädchen: das wäre allerdings ein Bruch mit dem Stereotyp; Sie könnten seine Pädophilie möglicherweise sogar als logische Folge seiner körperlichen, psychischen und sozialen Entwicklung plausibel machen; trotzdem würde der Leser ein solches Verhalten wohl verwerflich finden.
Sie könnten ihm andere negative Eigenschaften geben, die der Leser akzeptieren würde, solange er sich darum bemüht, sein Problem zu lösen. Er ist beispielsweise ein Kleptomane und versucht, sich seinem Trieb zum Stehlen zu widersetzen. Die Kleptomanie könnte Folge eines Kindheitstraumas sein. Er könnte streng für einen Diebstahl bestraft worden sein, den er nicht begangen hat. Mit einer solchen Figur könnte der Leser Sympathie empfinden.
Das Geheimnis origineller, nicht stereotyper Charakterisierung besteht darin, Eigenschaften zu kombinieren, die der Leser nicht in ein und derselben Figur erwarten würde. Vielleicht entwerfen Sie eine Figur in Ihrem Roman, Schwester Maria von Avignon, die Comic-Hefte liebt. Sie könnten Zärtlichkeit und Mitgefühl in einer Figur entdecken, wo Sie es am wenigsten erwarten, etwa in einem SA-Mann. Ein höchst sensibler Künstler kann einen gemeinen Zug haben. In jedem Menschen können Widersprüche auftauchen. Leser sind glücklich, sie in Ihren Figuren zu finden. Der Trick ist natürlich, nicht zu weit zu gehen. Es gibt keinen objektiven Maßstab, um festzustellen, was zu weit ist; Sie müssen sich selbst fragen: Ist das glaubwürdig?
Und wie alle Eigenschaften von Romanfiguren sollten Widersprüche dem Zweck der Geschichte dienen; sie sollten Emotionen und Verhalten der Figur beeinflussen.
MAXIMALE FIGURENKAPAZITÄT UND DER
»WÜRDE ER WIRKLICH«-TEST
Menschen benehmen sich manchmal töricht. Sie versprechen sich, sie vergessen etwas, sie kaufen, wenn sie verkaufen sollten, sie lassen günstige Gelegenheiten verstreichen, sie übersehen das Offensichtliche. Kurz gesagt, sie agieren nicht jederzeit und in allen Situationen mit ihrer maximalen Kapazität. Nicht so homo fictus.
All Ihre Hauptfiguren, Protagonisten sowie Antagonisten, sollten sich jederzeit bei der Auseinandersetzung mit den Problemen, die Sie ihnen in den Weg legen, als klug und effizient erweisen. Angenommen, Ihre Heldin ist während eines Gewitters allein in einem Geisterhaus. Das Licht fällt aus. »Was ist das?« - Seltsame Geräusche auf dem Speicher. Ächzen und Stöhnen und das Klirren von Ketten. Sie haben diese Szene unzählige Male in billigen Horrorfilmen gesehen. Ihre Heldin findet eine Kerze und zündet sie an. Aber wenn sie auch nur in die Nähe des Speichers geht (was sie in den Horrorfilmen immer tut), verletzen Sie das Prinzip maximaler Kapazität. Niemand, der auch nur einigermaßen bei Verstand ist, würde diese Treppe zum Speicher hochgehen, und wenn er noch so neugierig wäre. Dieses spezielle Klischee ist allgemein bekannt als das »Idiot auf dem Speicher«-Motiv. Benutzen Sie es nie!
Das Prinzip maximaler Kapazität verlangt nicht, daß eine Figur sich immer am absoluten Maximum aufhält, sondern vielmehr an dem Maximum, das für diese Figur erreichbar ist. Eine schwache Figur im dramatischen Sinn bedeutet nicht schwach im gewöhnlichen Sinn. Ihre Figur kann ein Schwächling von knapp 90 Pfund sein und trotzdem stark im dramatischen Sinn - wenn er weiß, was er will, und sich im Rahmen seiner Fähigkeiten darum bemüht, es zu bekommen. Ein kluger Autor legt seinen Figuren immer Hindernisse in den Weg. Es ist Betrug, wenn ein Autor einer Figur nicht erlaubt, all ihre Fähigkeiten zu nutzen, um diese Hindernisse zu überwinden. Wenn Ihre Figur sich auf dem Niveau ihrer jeweiligen Maximalkapazität bewegt, wird der Leser nie sagen: »He, Torfkopf, warum gehst du nicht einfach ans Telefon und rufst die Feuerwehr, anstatt den Gartenschlauch zu benutzen?«
Figuren auf dem Gipfel ihrer Fähigkeiten werden alles tun, was in ihrer Macht steht, um ihr Ziel zu erreichen. Sagen wir, Sie haben eine extrem schüchterne Figur entworfen, Ellen, die hoffnungslos in einen verheirateten Mann verliebt ist, der im selben Büro arbeitet. Sie träumt von ihm. Sie sehnt sich nach einem »Hallo« von ihm, das sie nie zu hören bekommt. Er heißt Kevin, und er weiß nicht mal, daß es sie gibt. Es übersteigt Ellens Kräfte (ihre Kapazität), zu diesem Mann zu gehen und zu sagen:
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