Wie man einen verdamt guten Roman schreibt (Teil 2)
einer Imbißbude oder als Haushaltshilfe arbeitete, doch sie hatte gerade einen entzündeten dicken Zeh und konnte nicht laufen. Ihre Nachbarin besaß eine Schreibmaschine. Die lieh sie sich
aus und fing an, sogenannte Geschichten, die das Leben schrieb, in die Tasten zu hauen.
Während ihrer Laufbahn hat sie, wie sie sagt, vierhundertfünfzehn solcher Geschichten, die das Leben schrieb, und zweihundertfünfzig andere an alle möglichen Zeitschriften, »vom Cosmopolitan bis zu irgendwelchen Käseblättern« verkauft, dazu noch einundvierzig Ro - mane. Damals hatte sie gerade vier Bücher unter Vertrag, drei Liebesromane, die als Paperback erschienen, und einen Hardcoverband über Hobbygärtnerei.
Ich habe sie nach dem Geheimnis ihres Erfolgs gefragt. Sie sagte, das wäre ganz einfach: »Wenn ich schreibe, stelle ich mir vor, wie meine Leserin nach einem Tag harter Arbeit mit müden Knochen im Sessel sitzt. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, daß sie in diesem Sessel bleibt, bis das Buch zu Ende ist, und um das zu erreichen, schreibe ich so spannend wie möglich und benutze jeden Trick, den ich kenne.«
So denkt eine Leser-Schreiberin. Befriedigen Sie Ihre Leser, nicht Ihr Ego.
4. DIE UNFÄHIGKEIT, DEN TRAUM NOCH EINMAL ZU TRÄUMEN
Als ich anfing, Kreatives Schreiben zu unterrichten, dachte ich, wenn ich Glück habe, habe ich in einem Kurs von zwanzig vielleicht zwei oder drei Studenten mit Potential. Ich habe genau das Gegenteil festgestellt. Fast alle meine Studenten hatten ein riesiges Potential.
Unter »Potential« verstehe ich hier folgendes: Sie haben die Fähigkeit, Figuren zu schaffen, die für den Leser glaubwürdig sind, die Kraft, eine Szene heraufzubeschwören, einen guten Sinn für Humor und ein Gespür für farbige Sprache.
Das hatten allerdings nicht alle von Ihnen.
Als ich zum ersten Mal an der University of California unterrichtete, kam eine junge Frau in meinen Kurs, die, wie ich fand, nur wenig Potential hatte. Sie hatte vor, eine Romanreihe über ihre kleinbürgerliche Familie zu schreiben, über deren banale Streitereien, ihre Scheidungen, Krankheiten und finanziellen Probleme. Es war alles absolut langweilig und eintönig. Sie machte bei ihrer Geschichte all die üblichen Fehler, und auch noch ein paar nicht so häufige. Flache Figuren, klischeehafte Situationen, abgedroschene Dialoge. Zu allem Überfluß war ihre Sprache schwerfällig, ungrammatikalisch und oft auch noch verworren.
Ihr Roman fing mit der Beschreibung einer Frau an, die sich bei der täglichen Hausarbeit unerträglich langweilt. Die Autorin mutete uns dreißig Seiten Staubputzen zu. Der Leser langweilte sich bald genausosehr wie die Hausfrau. Die Kritik der anderen Kursteilnehmer war brutal.
Als sie ihre Arbeit das nächste Mal dem Kurs vorlegte, war es ihr gelungen, einen Teil der langweiligen Stellen zu streichen und etwas mehr Spannung hineinzubringen, doch ihre sogenannte Geschichte ähnelte immer noch einem Teller Leipziger Allerlei, ein Mischmasch von Figuren und Ereignissen, die zu nichts führten.
Ich war entsetzt, als sie sich für das zweite Semester anmeldete, und versuchte, ihr zu sagen, ob sie es nicht mal mit dem Fotografiekurs auf der anderen Seite des Flurs probieren wolle, da das Schreiben offenbar nicht das richtige für sie sei. Aber es ist immer meine Devise gewesen, die Studenten allein über diese Dinge entscheiden zu lassen. Meine Aufgabe ist es, ihre Manuskripte zu kritisieren, nicht ihnen zu raten, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen.
Als sie den zweiten Kurs belegte, wurden ihre Arbeiten geringfügig besser. Die anderen Studenten und ich haben sie mit Kritik bombardiert, die sie stoisch hinnahm, obwohl ich merkte, daß es ihr wehtat.
Im nächsten Quartal kam sie wieder und dann noch einmal. Nach vier Jahren und dutzendfachem Überarbeiten hatte sie ihren Roman beendet. Sie hatte soviel wie möglich aus ihren Figuren gemacht. Sie schickte das Manuskript an verschiedene Agenten und konnte zu meinem Erstaunen eine ziemlich bekannte New Yorker Agentin für sich gewinnen. Die Agentin gab sich große Mühe, doch sie konnte das Manuskript nicht unterbringen und
schickte es schließlich zurück.
Inzwischen hat die Frau ihren zweiten Roman fast beendet, der meiner Meinung nach - und auch nach Meinung der meisten Kursteilnehmer - großartig ist. Es geht um die Suche einer jungen Frau nach ihrer Mutter, die sie im Stich gelassen hat, als sie fünf Jahre alt war. Die Autorin braucht immer
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