Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht
auffliegt. Sie suchen die Gesellschaft eines haarigen Mannes, der dreimal so viel wiegt wie Sie selbst? Auch dafür gibt es Online-Angebote (der Suchbegriff dazu lautet »Bär«).
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Freilich ist es zu begrüßen, dass Menschen bei ihrer Suche nach dem, was sie wollen, geholfen wird – selbst wenn man bisweilen den Verdacht hat, dass dies nicht immer ist, was sie tatsächlich brauchen. Die Bedenken, die diese Hilfe auslöst, gehen indes in zwei verschiedene Richtungen.
Erstens besteht die Gefahr, dass Menschen durch andere Menschen Schaden erleiden; ein Risiko, das sowohl Besorgnis erregend als auch moralisch unstrittig ist.
Von der Ausbeutung Schwacher bis hin zum Handel mit verbotenem Material kann sich die digitale Kombination aus Distanz, Anonymität und Geheimhaltung als gefährliche Mischung erweisen. Sexueller Missbrauch, Menschenhandel und illegale Formen von Pornografie sind nur ein Aspekt der dunklen Seite digitaler Netzwerke, doch sind sie besonders verstörende und schlagzeilenträchtige Manifestationen, gegen die sowohl per Gesetz als auch mit entsprechenden Schutzmaßnahmen vorgegangen werden muss – etwas, das die Technologie gleichermaßen vereinfacht und komplizierter gemacht hat.
Mit diesem Profilbild käme man auf AdultFriendFinder.com wohl nicht besonders weit.
(Erotische Postkarte aus den zwanziger Jahren © IBL Collections / Mary Evans Picture Library)
So erschreckend diese Missbrauchsfälle auch sein mögen, so sind sie doch relativ selten. An zweiter Stelle steht jedoch eine tiefere und moralisch vielschichtige Sorge: dass die Lebensqualität einer großen Anzahl von Menschen durch die reibungslose Leichtigkeit ausbeuterischer, reduktiver und potenziell süchtig machender digitaler Inhalte und der dazugehörigen Verhaltensweisen ernsten Schaden nehmen könnte.
Das Gebiet der Sexualität gibt in diesem Zusammenhang Anlass zu größeren und diffuseren Ängsten: Im Internet können wir uns gegenseitig zu Objekten degradieren, emotional verrohen und uns vor den Risiken und Freuden echter zwischenmenschlicher Kontakte zurückziehen. In einem 2010 in der Zeitschrift New Atlantis erschienenen Artikel beschrieb der britische Philosoph Roger Scruton diesen Prozess des »Versteckens hinter dem Bildschirm« treffend als »Entfremdungsprozess, bei dem die Menschen lernen … ihr Leben zu einem Spielzeug zu machen, über das sie die volle, wenn auch in gewisser Weise sehr trügerische Kontrolle haben«. Scruton räumte zwar ein, dass nicht alle digitalen Interaktionen eine solche Reduktion zur Folge hätten, warnte jedoch davor, dass die Freiheit, als vollwertiger Mensch zu leben, beeinträchtigt werde, wenn wir uns vor »der Welt menschlicher Beziehungen … mit all ihren Risiken, Konflikten und Verantwortlichkeiten« verschlössen.
Bequemlichkeit und sofortige Gratifikation bergen gefährliche Risiken. Selbst im Falle der Sexualität hat es wenig Sinn, die digitale Kultur schlicht als Verbesserung unserer Bedürfnisbefriedigung zu begreifen. Betrachtet man feste Beziehungen als Gegenteil von unverbindlichem Sex, dann sollte an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass das Online-Dating ein wesentlich größeres Geschäft ist als digitale Swinger-Angebote. In jedem Fall ist die nie da gewesene Bandbreite an Optionen bei minimaler Preisgabe der eigenen Persönlichkeit sicherlich ein wichtiger Faktor. Dennoch ist es eindeutig, dass nicht jeder, der auf Seiten wie Match.com ein detailliertes Profil ausfüllt, nach schneller Befriedigung sucht – sonst wäre er auf AdultFriendFinder unterwegs.
Dazwischen existiert ein nebulöses Mittelfeld. Nehmen wir den russischen Dienst ChatRoulette. Gegründet im November 2009, bietet er eine Art russisches Roulette, bei dem x-beliebige Menschen zu einer Konversation via Webcam und Mikrofon zusammengeschaltet werden. Man besucht die Seite, klickt den Service an, und schon erscheint in einem Fenster auf dem Bildschirm ein fremdes Zimmer. Gleichzeitig wird die eigene Präsenz zurückgesendet – vorausgesetzt, man verfügt über eine Webcam und ein Mikrofon. Die durchschnittliche Begegnung dauert weniger als eine Minute, dank des gut sichtbaren »Next«-Buttons, mit dem man sofort zur nächsten Zufallsbegegnung weiterklicken kann.
Wie unschwer zu erraten, ist bei einem Online-Dienst, der auf Exhibitionisten und Voyeure perfekt zugeschnitten ist, Nacktheit ein beliebtes Thema: Schätzungen aus dem Jahre 2010 zufolge fiel mindestens einer von acht Kontakten
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